Der Mehrwert akustisch optimierter Büroumgebungen

Gibt es neue Erkennt­nis­se zur aku­sti­schen Gestal­tung von Arbeits­räu­men? Wie wir­ken sich aku­sti­sche Dau­er­be­la­stun­gen in Büro­um­ge­bun­gen auf die Mit­ar­bei­ten­den aus? Noe­mi Mar­tin vom Fraun­ho­fer-Insti­tut für Bau­phy­sik IBP gibt im Inter­view Ant­wor­ten auf die­se und wei­te­re Fragen.

Die Leiterin der interdisziplinären Arbeitsgruppe Psychoakustik und kognitive Ergonomie des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP Noemi Martin. Abbildung: Fraunhofer IBP
Die Lei­te­rin der inter­dis­zi­pli­nä­ren Arbeits­grup­pe Psy­cho­aku­stik und kogni­ti­ve Ergo­no­mie des Fraun­ho­fer-Insti­tuts für Bau­phy­sik IBP Noe­mi Mar­tin. Abbil­dung: Fraun­ho­fer IBP

Büroblog Schweiz: Frau Martin, was ist der entscheidende Punkt beim Thema „Silent Working“?

Noe­mi Mar­tin: Seit­dem vie­le Unter­neh­men in den letz­ten Jah­ren ihre Büros zu Open-Space-Flä­chen umge­stal­tet haben, ist das ein rele­van­tes The­ma für uns. Statt in Ein­zel- oder Zwei­er­bü­ros sit­zen die Mit­ar­bei­ten­den nach der Rück­kehr aus dem Home­of­fice oft wie­der auf gros­sen, offe­nen Flä­chen mit 30 bis 40 Per­so­nen. Man hat rela­tiv schnell gemerkt, dass das zu einer pro­ble­ma­ti­schen Aku­stik füh­ren kann, da die­se in der Pla­nung von Bau­her­ren und Archi­tek­ten häu­fig noch nicht aus­rei­chend mit­be­rück­sich­tigt wird.

Sehen Sie darüber hinaus noch weitere Problematiken?

Es kommt auch vor, dass Räu­me zu lei­se geplant wer­den mit zu vie­len absor­bie­ren­den Mate­ria­li­en. Hier ist das Pro­blem, dass man nicht nur die Kol­le­gin oder den Kol­le­gen neben sich hört, son­dern auch alle ande­ren Mit­ar­bei­ten­den am ande­ren Ende des Raums, und das kann eben­falls stö­rend wir­ken. Hier kann bei­spiels­wei­se das Sound­mas­king eine Lösung bie­ten. Dabei wer­den stö­ren­de Geräu­sche durch ange­neh­me, gleich­mäs­si­ge Geräu­sche überdeckt.

Falls ein Büro akustisch schlecht geplant ist, was passiert dann mit uns?

Es kön­nen psy­chi­sche Bela­stun­gen und Stress bis hin zum Tin­ni­tus auf­tre­ten, wenn die Mit­ar­bei­ten­den durch aku­sti­sche Stö­run­gen per­ma­nent bei der Arbeit unter­bro­chen wer­den und sich schlech­ter kon­zen­trie­ren kön­nen. Dafür möch­ten wir ein Bewusst­sein schaf­fen. Und wir beschäf­ti­gen uns auch mit Rege­lun­gen für den Arbeits­schutz. Zum Teil las­sen sich die Pro­ble­me über aku­stisch wirk­sa­me Pro­duk­te lösen. Teil­wei­se ist es aber auch eine Fra­ge der Arbeits­or­ga­ni­sa­ti­on. Im Acti­vi­ty-Based-Office etwa hat jeder einen Arbeits­platz, kann aber je nach Auf­ga­be zum Tele­fo­nie­ren in eine Tele­fon­box oder für eine Video­kon­fe­renz in den Kon­fe­renz­raum gehen. Die­se fle­xi­blen räum­li­chen Lösun­gen, bei denen sich die Mit­ar­bei­ten­den bei Bedarf zurück­zie­hen, mobil oder an aku­stisch hoch­wer­tig aus­ge­stat­te­ten Plät­zen arbei­ten kön­nen, sind aus aku­sti­scher Sicht am besten.

Welche Probleme bringen akustische Belastungen noch mit sich?

Wir kön­nen bele­gen, dass es weni­ger die tech­ni­schen Geräu­sche wie Drucker­ge­räu­sche oder Tele­fon­klin­geln sind, die als stö­rend emp­fun­den wer­den. Viel­mehr ist die Sprach­ver­ständ­lich­keit das Kern­pro­blem. Das heisst, wenn Kol­le­gen tele­fo­nie­ren oder etwas bespre­chen, ist dies beson­ders stö­rend, weil Spra­che von unse­rem Gehirn beson­ders gut und vor­ran­gig ver­ar­bei­tet wird und damit Auf­merk­sam­keit bin­det. Unser Gehirn ist spe­zia­li­siert dar­auf, Spra­che zu ver­ar­bei­ten. Wir neh­men sehr viel unter­be­wusst wahr, was uns die Res­sour­cen für das raubt, was wir eigent­lich tun möch­ten. Das äus­sert sich in schlech­ter Lei­stungs­fä­hig­keit, es löst Stress aus, führt zu Erschöp­fung oder Kopf­schmer­zen. Dau­er­haf­te aku­sti­sche Stö­run­gen und damit zusam­men­hän­gen­de Unter­bre­chun­gen bei der Arbeit beein­träch­ti­gen frü­her oder spä­ter jeden, auch wenn es vie­len viel­leicht gar nicht bewusst ist.

Freistehende Schallabsorber können Räume akustisch optimieren bei gleichzeitiger Zonierung der Fläche. Abbildung: Nina Mair
Frei­ste­hen­de Schall­ab­sor­ber kön­nen Räu­me aku­stisch opti­mie­ren bei gleich­zei­ti­ger Zonie­rung der Flä­che. Abbil­dung: Nina Mair

Wie ist Ihre Aussage zu verstehen, dass sich akustische Massnahmen in Büros für den Arbeitgeber schnell amortisieren?

Wir haben beim Fraun­ho­fer IBP ein Rechen-Tool ent­wickelt, mit dem wir bei­spiels­wei­se errech­nen kön­nen, was es einen Arbeit­ge­ber aus Baden-Würt­tem­berg in der Phar­ma­in­du­strie kostet, wenn 30 Mit­ar­bei­ter monat­lich je 30 Minu­ten durch schlech­te Raum­aku­stik bei der Arbeit unter­bro­chen wer­den. Wür­de die­ses Geld statt­des­sen in Aku­stik-Mass­nah­men inve­stiert, amor­ti­siert sich die Inve­sti­ti­on bereits inner­halb kur­zer Zeit. Ein Amor­ti­sa­ti­ons­zeit­raum von ein bis drei Jah­ren ist realistisch.

Wie wird sich die Büro-Situation durch Corona verändern?

Wir gehen davon aus, dass es die Rück­kehr ins Büro geben wird, das Büro dann aber wahr­schein­lich eine ande­re Bedeu­tung haben wird. Sozia­le Kon­tak­te und die inter­ak­ti­ve Arbeit wer­den dort mehr im Vor­der­grund ste­hen. Dafür müs­sen auch die Büro-Lay­outs ange­passt wer­den, um Tätig­kei­ten zu ermög­li­chen, die koope­ra­tiv vor Ort statt­fin­den. Zudem ver­mu­ten wir, dass sich die digi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­on auch inner­halb des Büros deut­lich ver­stär­ken wird, was wie­der­um aku­stisch pro­ble­ma­tisch sein kann.

Vielen Dank.