Handschrift in digitalen Zeiten

Wird hand­schrift­li­ches Schrei­ben bald ver­schwin­den? Nach­rich­ten zu ver­fas­sen bedeu­tet für vie­le Men­schen heu­te haupt­säch­lich Tip­pen und Wischen. Ein Gespräch mit Susan­ne Doren­dorff, Hand­schrift-Exper­tin und -Trai­ne­rin, über die Bedeu­tung und Zukunft die­ser prä­gen­den Kulturtechnik.

Handschrift-Coaching kann zur Selbstwertsteigerung und Persönlichkeitsoptimierung beitragen. Abbildung: Pexels
Hand­schrift-Coa­ching kann zur Selbst­wert­stei­ge­rung und Per­sön­lich­keits­op­ti­mie­rung bei­tra­gen. Abbil­dung: Pexels

Büroblog Schweiz: Frau Dorendorff, was macht für Sie eine gute Handschrift aus?

Susan­ne Doren­dorff: Um das Design der Buch­sta­ben geht es erst in zwei­ter Linie. Hand­schrift ist gedank­li­ches Auf­schrei­ben, das aus mul­ti­sen­su­el­len Vor­gän­gen besteht: Inne­re Bewe­gun­gen wer­den zu äus­se­ren. Hand­schrift ist also kei­ne Schrift, son­dern das Ergeb­nis einer manu­el­len Tech­nik, die man beherr­schen muss. Hand­schrift ist ein essen­zi­el­les Denk­werk­zeug. Am besten ist es, wenn sie sou­ve­rän aus der Hand fliesst, les­bar ist und ihrem Eigen­tü­mer gefällt. Ein abso­lu­tes No-Go ist hän­di­sches „Drucken“, weil es die Gedan­ken schred­dert. Es heisst, Druck­schrift sei die „Schrift der Doo­fen!“. Schreib­schrift-basier­te Hand­schrif­ten hin­ge­gen gel­ten, weil die latei­ni­sche Schreib­schrift von Anfang an die „Schrift der Gelehr­ten“ war, seit jeher als Zei­chen von Intel­li­genz und Bil­dung. Weni­ger Gebil­de­te lern­ten frü­her nur „Kur­rent“ und „Süt­ter­lin“. Heut­zu­ta­ge wird Kin­dern zuerst die Druck­schrift aufs Auge gedrückt. Ich nen­ne das „Schrift­miss­brauch“. Auch die „Ver­ein­fach­te Aus­gangs­schrift“ (VA) als Zwangs­schul­schrift ist Kin­der­quä­le­rei. Bei­de füh­ren viel­fach zu chi­ro­gra­fi­scher Blocka­de (Schreib­schwä­che).

Eine Umfrage unter deutschen Lehrkräften hat ergeben, dass 37 Prozent der Grundschüler und 43 Prozent der Schüler in weiterführenden Schulen nicht leserlich schreiben können. Wie bewerten Sie das?

Das ist ein logi­scher, ziel­ori­en­tier­ter Vor­gang: Schrei­ben ler­nen und Recht­schrei­bung wer­den in der Grund­schu­le auf Beschluss der KMK (Kul­tus­mi­ni­ster­kon­fe­renz Deutsch­land) und des GSV (Grund­schul­ver­band) seit 50 Jah­ren still­schwei­gend ver­nach­läs­sigt. Also sol­len die Kin­der nicht schrei­ben kön­nen; nicht in den Grund-, nicht in wei­ter­füh­ren­den Schu­len, nicht im Stu­di­um und nicht im Beruf. Sind die Leh­rer, Wis­sen­schaft­ler und Unter­neh­mer, deren Umfra­gen, Stu­di­en und Peti­tio­nen ver­öf­fent­licht wer­den, nicht selbst betei­ligt an dem, was sie bemän­geln? Wer sonst? Und wozu Stu­di­en? Um sich zu ver­ge­wis­sern, dass es wei­ter berg­ab geht? Dazu braucht man kei­ne Stu­die, da reicht ein Blick in die Schul­hef­te! Die Schu­le ist ver­pflich­tet, in Cur­ri­cu­la (Lehr­pro­gram­me) und Edu­ka­ti­on zu inve­stie­ren, nicht in deren Abschaf­fung und Bildungs-Siechtums-Nachweise.

Was geht einem Menschen verloren, wenn er aufhört, mit der Hand zu schreiben (und dafür nur noch tippt)?

Da fra­gen Sie am besten die 20 Mil­lio­nen Erwach­se­nen in Deutsch­land, die in der Grund­schu­le nicht rich­tig schrei­ben ler­nen durf­ten, sich ihrer Hand­schrift und Recht­schreib­feh­ler schä­men und des­halb an die Tasta­tur gezwun­gen wer­den. Die kön­nen die Fra­ge am besten beant­wor­ten – wer­den aber nie gefragt. Wer nicht flies­send schrei­ben kann, emp­fin­det das als Per­sön­lich­keits­de­fi­zit. Auch der teu­er­ste Fül­ler schreibt nur wie man selbst. Wer gern schreibt, zeigt es! Auto­fah­ren kann jeder. Schrei­ben nicht. Mein Hand­schrift-Coa­ching trägt also mass­geb­lich zur Selbst­wert­stei­ge­rung und Per­sön­lich­keits­op­ti­mie­rung bei.

Welche Rolle spielt die Handschrift im heutigen Berufsleben?

In jedem Beruf muss man schrei­ben kön­nen. Selbst in Mana­ger-Mee­tings wird grund­sätz­lich mit der Hand geschrie­ben. Im Jura-Stu­di­um ist eine les­ba­re Hand­schrift Voraussetzung.

Welche Bedeutung hat das richtige Schreibgerät für die Handschrift?

Rich­tig ist ein Schreib­ge­rät, wenn man es beim Schrei­ben nicht bemerkt. Ich lege zur­zeit das Män­ner-Schreib­ge­rät „Mein Ding“ auf, um rich­ti­ge Schreiblust zu ver­mit­teln: ein Ball-Pen, puri­stisch, glatt und rund. Schlech­te Stif­te gibt es wie Sand am Meer: Griff­mul­den, Drei­ecks­tif­te und der „Stift mit Blin­den­schrift“. Mar­ke­ting­ideen, die spon­ta­nes „Powerful Wri­ting“ behindern.

Sie sind auch Handschriften-Coach. Aus welchen Bereichen kommen Ihre Kunden, und was bringen Sie ihnen genau bei?

Ich habe, extra für Jungs und Män­ner, weil sie die Haupt­ge­schä­dig­ten der Grund­schul­po­li­tik sind, vor zehn Jah­ren das Cur­ri­cu­lum einer logi­schen Schreib­tech­nik auf­ge­legt. Jungs brau­chen zwei bis vier Wochen, bis sie flies­send schrei­ben, Män­ner brau­chen etwas län­ger. Mei­ne Tür steht allen offen.

Können Sie sich vorstellen, dass die Handschrift irgendwann einmal aussterben wird? Oder blicken Sie optimistisch auf die Zukunft des händischen Schreibens?

Gedan­ken schnell mal eben oder lang­sam auf­schrei­ben zu wol­len, ist ein intrin­si­scher Trieb, der nach Voll­zug ver­langt. Nur weil ein paar Wis­sen­schaft­ler mit „Sau­klaue“, wie sie es nen­nen, und weni­ge mar­ke­ting­fi­xier­te Geschäfts­leu­te die Grund­schu­le im Wür­ge­griff haben, muss das ja nicht so blei­ben. Denn die rech­nen nicht mit der Intel­li­genz der Bil­dungs­wil­li­gen und mit der Macht der Handschrift.

Vielen Dank.

DorendorffSusanne Dorendorff,

Lei­te­rin des Euro­päi­schen Insti­tuts für Hand­schrift und Phi­lo­gra­phie in Hamburg.

schreib-schrift.de und susannedorendorff.de