Wird handschriftliches Schreiben bald verschwinden? Nachrichten zu verfassen bedeutet für viele Menschen heute hauptsächlich Tippen und Wischen. Ein Gespräch mit Susanne Dorendorff, Handschrift-Expertin und -Trainerin, über die Bedeutung und Zukunft dieser prägenden Kulturtechnik.
Büroblog Schweiz: Frau Dorendorff, was macht für Sie eine gute Handschrift aus?
Susanne Dorendorff: Um das Design der Buchstaben geht es erst in zweiter Linie. Handschrift ist gedankliches Aufschreiben, das aus multisensuellen Vorgängen besteht: Innere Bewegungen werden zu äusseren. Handschrift ist also keine Schrift, sondern das Ergebnis einer manuellen Technik, die man beherrschen muss. Handschrift ist ein essenzielles Denkwerkzeug. Am besten ist es, wenn sie souverän aus der Hand fliesst, lesbar ist und ihrem Eigentümer gefällt. Ein absolutes No-Go ist händisches „Drucken“, weil es die Gedanken schreddert. Es heisst, Druckschrift sei die „Schrift der Doofen!“. Schreibschrift-basierte Handschriften hingegen gelten, weil die lateinische Schreibschrift von Anfang an die „Schrift der Gelehrten“ war, seit jeher als Zeichen von Intelligenz und Bildung. Weniger Gebildete lernten früher nur „Kurrent“ und „Sütterlin“. Heutzutage wird Kindern zuerst die Druckschrift aufs Auge gedrückt. Ich nenne das „Schriftmissbrauch“. Auch die „Vereinfachte Ausgangsschrift“ (VA) als Zwangsschulschrift ist Kinderquälerei. Beide führen vielfach zu chirografischer Blockade (Schreibschwäche).
Eine Umfrage unter deutschen Lehrkräften hat ergeben, dass 37 Prozent der Grundschüler und 43 Prozent der Schüler in weiterführenden Schulen nicht leserlich schreiben können. Wie bewerten Sie das?
Das ist ein logischer, zielorientierter Vorgang: Schreiben lernen und Rechtschreibung werden in der Grundschule auf Beschluss der KMK (Kultusministerkonferenz Deutschland) und des GSV (Grundschulverband) seit 50 Jahren stillschweigend vernachlässigt. Also sollen die Kinder nicht schreiben können; nicht in den Grund-, nicht in weiterführenden Schulen, nicht im Studium und nicht im Beruf. Sind die Lehrer, Wissenschaftler und Unternehmer, deren Umfragen, Studien und Petitionen veröffentlicht werden, nicht selbst beteiligt an dem, was sie bemängeln? Wer sonst? Und wozu Studien? Um sich zu vergewissern, dass es weiter bergab geht? Dazu braucht man keine Studie, da reicht ein Blick in die Schulhefte! Die Schule ist verpflichtet, in Curricula (Lehrprogramme) und Edukation zu investieren, nicht in deren Abschaffung und Bildungs-Siechtums-Nachweise.
Was geht einem Menschen verloren, wenn er aufhört, mit der Hand zu schreiben (und dafür nur noch tippt)?
Da fragen Sie am besten die 20 Millionen Erwachsenen in Deutschland, die in der Grundschule nicht richtig schreiben lernen durften, sich ihrer Handschrift und Rechtschreibfehler schämen und deshalb an die Tastatur gezwungen werden. Die können die Frage am besten beantworten – werden aber nie gefragt. Wer nicht fliessend schreiben kann, empfindet das als Persönlichkeitsdefizit. Auch der teuerste Füller schreibt nur wie man selbst. Wer gern schreibt, zeigt es! Autofahren kann jeder. Schreiben nicht. Mein Handschrift-Coaching trägt also massgeblich zur Selbstwertsteigerung und Persönlichkeitsoptimierung bei.
Welche Rolle spielt die Handschrift im heutigen Berufsleben?
In jedem Beruf muss man schreiben können. Selbst in Manager-Meetings wird grundsätzlich mit der Hand geschrieben. Im Jura-Studium ist eine lesbare Handschrift Voraussetzung.
Welche Bedeutung hat das richtige Schreibgerät für die Handschrift?
Richtig ist ein Schreibgerät, wenn man es beim Schreiben nicht bemerkt. Ich lege zurzeit das Männer-Schreibgerät „Mein Ding“ auf, um richtige Schreiblust zu vermitteln: ein Ball-Pen, puristisch, glatt und rund. Schlechte Stifte gibt es wie Sand am Meer: Griffmulden, Dreieckstifte und der „Stift mit Blindenschrift“. Marketingideen, die spontanes „Powerful Writing“ behindern.
Sie sind auch Handschriften-Coach. Aus welchen Bereichen kommen Ihre Kunden, und was bringen Sie ihnen genau bei?
Ich habe, extra für Jungs und Männer, weil sie die Hauptgeschädigten der Grundschulpolitik sind, vor zehn Jahren das Curriculum einer logischen Schreibtechnik aufgelegt. Jungs brauchen zwei bis vier Wochen, bis sie fliessend schreiben, Männer brauchen etwas länger. Meine Tür steht allen offen.
Können Sie sich vorstellen, dass die Handschrift irgendwann einmal aussterben wird? Oder blicken Sie optimistisch auf die Zukunft des händischen Schreibens?
Gedanken schnell mal eben oder langsam aufschreiben zu wollen, ist ein intrinsischer Trieb, der nach Vollzug verlangt. Nur weil ein paar Wissenschaftler mit „Sauklaue“, wie sie es nennen, und wenige marketingfixierte Geschäftsleute die Grundschule im Würgegriff haben, muss das ja nicht so bleiben. Denn die rechnen nicht mit der Intelligenz der Bildungswilligen und mit der Macht der Handschrift.
Vielen Dank.
Susanne Dorendorff,Leiterin des Europäischen Instituts für Handschrift und Philographie in Hamburg. |