Der Weg zur gesundheitsorientierten Kantine

Der Grün­der und Geschäfts­füh­rer des Betriebs­ga­stro­no­mie-Exper­ten Geso­ca Chri­sti­an Feist enga­giert sich für eine gesund­heits­ori­en­tier­te Cate­ring­steue­rung. Im Inter­view ver­rät er unter ande­rem, was eine sol­che ausmacht.

Eine Orientierung am gastronomischen Ampelsystem GAS sorgt in Kantinen für ein besseres Speisenangebot. Abbildung: Tomo Beginner, Pixabay
Eine Ori­en­tie­rung am gastro­no­mi­schen Ampel­sy­stem GAS sorgt in Kan­ti­nen für ein bes­se­res Spei­sen­an­ge­bot. Abbil­dung: Tomo Beg­in­ner, Pixabay

Büroblog Schweiz: Herr Feist, im Sommer dieses Jahres war die Currywurst medial omnipräsent. Volkswagen wollte sie vom Speiseplan nehmen. Das führte zu grosser Aufregung. Warum ist sie so beliebt in den Kantinen?

Chri­sti­an Feist: Ja, die Cur­ry­wurst lässt nie­man­den kalt. Wobei ange­merkt sei, dass bei VW ledig­lich eines von vie­len Betriebs­re­stau­rants auf vege­ta­risch umge­stellt wur­de. Anson­sten gibt es die Cur­ry­wurst wei­ter­hin. Den­noch eine sehr zeit­ge­mäs­se Mass­nah­me von VW. Gene­rell ist die Cur­ry­wurst nicht nur beliebt, son­dern auch wirt­schaft­lich ein sehr inter­es­san­tes Pro­dukt. Sie ist ein­fach her­zu­stel­len, unemp­find­lich und gün­stig. Sie ist so unwi­der­steh­lich, weil sie etwa 35 Pro­zent Fett und 45 Pro­zent Koh­le­hy­dra­te ent­hält. Die­ses Ver­hält­nis ent­spricht der soge­nann­ten „magi­schen Nasch­for­mel“, die auch bei vie­len Knab­be­rei­en wie Chips zu fin­den ist. Wis­sen­schaft­ler haben her­aus­ge­fun­den, dass bei die­ser Zuta­ten­kom­bi­na­ti­on das Beloh­nungs­zen­trum im Gehirn akti­viert wird und wir sol­chen Ange­bo­ten kaum wider­ste­hen kön­nen. Vie­le Kan­ti­nen­klas­si­ker, etwa Schnit­zel mit Pom­mes oder Spa­ghet­ti Bolo­gne­se, sind ähn­lich aufgestellt.

Aufgrund der Corona-Pandemie blieben viele Kantinen streckenweise geschlossen. Wie stark ist die Kantinenbelegung zurückgegangen?

Das ist sehr unter­schied­lich. Dort, wo Home­of­fice unpro­ble­ma­tisch mög­lich ist, errei­chen die Kan­ti­nen bis heu­te nur 20 Pro­zent der alten Gäste­zah­len. Im pro­du­zie­ren­den Gewer­be sind es immer­hin schon wie­der rund 60 Prozent.

Gesunde Ernährung am Arbeitsplatz trägt zu mehr Produktivität bei. Abbildung: Javier Disabato, Pexels
Gesun­de Ernäh­rung am Arbeits­platz trägt zu mehr Pro­duk­ti­vi­tät bei. Abbil­dung: Javier Disaba­to, Pexels

Welche Belegungsquote erwarten Sie künftig?

Wir gehen mit­tel­fri­stig davon aus, dass etwa 65 bis 75 Pro­zent der Gäste zurück­keh­ren wer­den. Star­ken Ein­fluss hat wei­ter­hin das Home­of­fice. Es haben sich aber auch neue indi­vi­du­el­le Gewohn­hei­ten gebil­det. Man­che kochen jetzt mehr selbst, ande­re haben ein neu­es Lieb­lings­re­stau­rant, eini­ge ver­zich­ten ganz auf das Mit­tag­essen. Das ist sehr unterschiedlich.

Nehmen Nachfrage und Angebot von vegetarischen Gerichten in der Betriebsgastronomie nachweislich zu?

Ein­deu­tig! Heu­te sind vege­ta­ri­sche Ange­bo­te auch in der Betriebs­ga­stro­no­mie eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Es hapert eher an der Viel­falt und Attrak­ti­vi­tät, da vie­le Köchin­nen und Köche nach wie vor bes­ser und lie­ber Fleisch zubereiten.

Auf­grund des durch Kli­ma­wan­del und Pan­de­mie gestie­ge­nen Gesund­heits­be­wusst­seins wer­den vege­ta­ri­sche, nach­hal­ti­ge und gesund­heits­för­der­li­che Ange­bo­te immer wich­ti­ger. Eine Kan­ti­ne, die ent­spre­chend arbei­tet, trägt im Unter­neh­men zu Employer Bran­ding, Gesund­heit und Nach­hal­tig­keit bei.

Ein nicht ganz zeitgemässes Angebot. Abbildung: Tim Samuel, Pexels
Ein nicht ganz zeit­ge­mäs­ses Ange­bot. Abbil­dung: Tim Samu­el, Pexels

Gibt es bei der Speisenwahl in der Kantine Unterschiede zwischen den Generationen?

Ja! Für die älte­re Gene­ra­ti­on sind tra­di­tio­nel­le Ange­bo­te nach wie vor sehr wich­tig. Die Jün­ge­ren ent­schei­den sich für die Kan­ti­ne, wenn sie dort auch inter­na­tio­na­le und tren­di­ge Ange­bo­te vor­fin­den. Dazu gehö­ren zum Bei­spiel Asia-Food, Bur­ger, Piz­za, Pasta, Vege­ta­ri­sches, Plant-based und Crossover.

Bei kon­zep­tio­nel­len Ver­än­de­run­gen die­ser Art ist ein schritt­wei­ses Vor­ge­hen sehr wich­tig, da Essen ein sehr emo­tio­na­les The­ma ist und aus vie­len Gewohn­hei­ten besteht. So reagie­ren die­je­ni­gen, denen „etwas weg­ge­nom­men wird“, lau­ter als ande­re. Ein pro­mi­nen­tes Bei­spiel ist die so lau­te Dis­kus­si­on rund um die Cur­ry­wurst bei VW. Des­halb braucht es einen lang­fri­sti­gen Ansatz und ein gutes Kommunikationskonzept.

Christian Feist, Gründer und Geschäftsführer Gesoca. gesoca.de
Chri­sti­an Feist, Grün­der und Geschäfts­füh­rer Geso­ca. gesoca.de

Sie haben ein Messsystem zur Gesundheitsorientierung in der Kantine entwickelt. Wie funktioniert es?

Wir bie­ten Unter­neh­men die Mög­lich­keit, Betriebs­ga­stro­no­mie lei­stungs­ori­en­tiert bezüg­lich Qua­li­tät und Gesund­heits­ori­en­tie­rung zu steu­ern. Dafür wer­den die unter­neh­mens­spe­zi­fi­schen Qua­li­täts­kri­te­ri­en und der gewünsch­te Grad an Gesund­heits­ori­en­tie­rung in ein Qua­li­täts­si­che­rungs­sy­stem inte­griert, das aus einer Web-Anwen­dung, Audits, Gäste­be­fra­gun­gen und Mystery-Shop­ping besteht. Die Basis ist das Gastro­no­mi­sche Ampel­sy­stem, kurz GAS, das Pro­fes­sor Pei­nelt an der Hoch­schu­le Nie­der­rhein für die Gemein­schafts­ver­pfle­gung ent­wickelt hat. Damit wer­den Rezep­tu­ren ernäh­rungs­phy­sio­lo­gisch bewer­tet und in Ampel­far­ben kate­go­ri­siert: Die Far­be Grün steht für aus­ge­wo­gen und gesund­heits­för­der­lich, Gelb für mit­tel, Rotes soll­te höch­stens ein­mal in der Woche auf den Tel­ler. In Kom­bi­na­ti­on mit Ver­brauchs­da­ten wird der Gesund­heits­wert ermit­telt, eine bran­chen­weit ver­gleich­ba­re Kenn­zif­fer über die Gesund­heits­ori­en­tie­rung einer Kantine.

Mit die­sem System kön­nen Kan­ti­nen moti­viert wer­den, gesund­heits­ori­en­tier­te Spei­sen attrak­ti­ver zu machen als bis­her. So wer­den Gäste nach allen Regeln der Kunst zu gesun­dem Essen „ver­führt“, ohne sie zu bevor­mun­den und ihnen zum Bei­spiel die gelieb­te Cur­ry­wurst ganz zu strei­chen. Es braucht mehr­di­men­sio­na­le Steue­rungs­mo­del­le, die neben den Kosten auch ande­re Fak­to­ren berück­sich­ti­gen. Eine falsch gesteu­er­te Kan­ti­ne führt zu mehr als nur finan­zi­el­len Ver­lu­sten: Es geht um Mit­ar­bei­ter­zu­frie­den­heit, gastro­no­mi­sche Qua­li­tät, Gesund­heit, Nach­hal­tig­keit und Wirtschaftlichkeit.

Werden in den Kantinen bislang überwiegend Speisen aus dem roten Bereich angeboten?

Inter­es­san­ter­wei­se sind 56 Pro­zent der ver­kauf­ten Gerich­te gelb und 31 Pro­zent rot. 14 Pro­zent sind grün. Dabei sind gera­de die gel­ben Gerich­te eher auf­wen­dig und hoch­prei­sig im Waren­ein­satz – die Betriebs­ga­stro­no­mie meint es also gut mit ihren Gästen! Noch bes­ser wäre aller­dings ein aus­ge­wo­ge­nes, wirk­lich attrak­ti­ves Ange­bot mit vie­len grü­nen Ange­bo­ten. Beson­ders, weil vie­le Gäste jeden Tag in die Kan­ti­ne gehen. Für ein Unter­neh­men, das sei­ne Kan­ti­ne bezu­schusst – was mei­stens der Fall ist –, ist das aktu­el­le Ange­bot dop­pelt nega­tiv: Rote und auch gel­be Essen ver­stär­ken das bekann­te Mit­tags­tief, tra­gen zu ernäh­rungs­be­ding­ten Krank­hei­ten bei und sind weni­ger nach­hal­tig. Pro­vo­kant gefragt: Wür­den Sie die­je­ni­gen, die ins haus­ei­ge­ne Fit­ness­stu­dio gehen, moti­vie­ren, auf Kosten des Unter­neh­mens ein Bier zu trin­ken anstatt zu trainieren?

Wie die Ernährung die Leistungsfähigkeit beeinflusst.
Wie die Ernäh­rung die Lei­stungs­fä­hig­keit beeinflusst.

Wie bringen Sie Unternehmen dazu, sich konkret nach Ihrer Ampel zu richten?

Gastro­no­mie ist immer dann erfolg­reich, wenn das Essen schmeckt. Wenn das gastro­no­mi­sche Ampel­sy­stem ein ver­bind­li­cher Teil der Ver­ein­ba­rung zwi­schen Unter­neh­men und Betriebs­ga­stro­no­mie ist, wird Gesund­heits­ori­en­tie­rung zu einem Erfolgs­fak­tor, der sich auch finan­zi­ell aus­wirkt. In Eigen­re­gie­be­trie­ben kann der Gesund­heits­wert in Ziel­ver­ein­ba­run­gen auf­ge­nom­men wer­den. In der Fremd­re­gie wird ver­trag­lich gere­gelt, dass die Sub­ven­ti­on einen varia­blen Anteil bezüg­lich des Gesund­heits­wer­tes erhält. Das hat Ver­bind­lich­keit und schafft Anrei­ze für ein gesund­heits­för­der­li­ches und zugleich attrak­ti­ves Angebot.

Wie sieht Ihre Vision von der Kantine der Zukunft aus?

Ich sehe die Betriebs­ga­stro­no­mie als Moti­va­tor und Unter­stüt­zer für eine aus­ge­wo­ge­ne Ernäh­rung. Sie wird mehr denn je ein wich­ti­ger Ort der Begeg­nung und ein Aus­druck der Wert­schät­zung durch das Unter­neh­men. Vor Ort durch ein ganz­heit­li­ches Kan­ti­nen­er­leb­nis, für das Home­of­fice durch eine Unter­stüt­zung für die Ernäh­rung zu Hau­se. Die Betriebs­ga­stro­no­mie schafft Erleb­nis­se, gibt Impul­se, lie­fert Ideen und moti­viert die Gäste gene­rell, aus­ge­wo­ge­ner zu essen. Beim The­ma Home­of­fice wer­den Lie­fe­run­gen einen eher klei­nen Teil ein­neh­men. Aber Rezep­te, Fil­me, halb fer­ti­ge Gerich­te oder Grund­sos­sen zum Mit­neh­men für die näch­sten Tage wer­den einen neu­en Sek­tor bil­den. Durch die ver­än­der­ten Arbeits­wel­ten vor Ort erge­ben sich wei­te­re Kon­takt­punk­te, die alle mit einer genuss­vol­len und lei­stungs­er­hal­ten­den Ernäh­rung über­ra­schen sollten.

Was mir ganz wich­tig ist: Das alles heisst nicht, dass es die Cur­ry­wurst nicht mehr gibt. Es muss nur sicher­ge­stellt sein, dass alles – also auch die Cur­ry­wurst – ernäh­rungs­phy­sio­lo­gisch maxi­mal hoch­wer­tig gekocht wird und Ver­hält­nis­se geschaf­fen wer­den, die es dem Gast leicht machen, zum gesund­heits­ori­en­tier­ten Ange­bot zu grei­fen. Dies soll­te zur Selbst­ver­ständ­lich­keit werden.

Vielen Dank.