Der Gründer und Geschäftsführer des Betriebsgastronomie-Experten Gesoca Christian Feist engagiert sich für eine gesundheitsorientierte Cateringsteuerung. Im Interview verrät er unter anderem, was eine solche ausmacht.

Büroblog Schweiz: Herr Feist, im Sommer dieses Jahres war die Currywurst medial omnipräsent. Volkswagen wollte sie vom Speiseplan nehmen. Das führte zu grosser Aufregung. Warum ist sie so beliebt in den Kantinen?
Christian Feist: Ja, die Currywurst lässt niemanden kalt. Wobei angemerkt sei, dass bei VW lediglich eines von vielen Betriebsrestaurants auf vegetarisch umgestellt wurde. Ansonsten gibt es die Currywurst weiterhin. Dennoch eine sehr zeitgemässe Massnahme von VW. Generell ist die Currywurst nicht nur beliebt, sondern auch wirtschaftlich ein sehr interessantes Produkt. Sie ist einfach herzustellen, unempfindlich und günstig. Sie ist so unwiderstehlich, weil sie etwa 35 Prozent Fett und 45 Prozent Kohlehydrate enthält. Dieses Verhältnis entspricht der sogenannten „magischen Naschformel“, die auch bei vielen Knabbereien wie Chips zu finden ist. Wissenschaftler haben herausgefunden, dass bei dieser Zutatenkombination das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert wird und wir solchen Angeboten kaum widerstehen können. Viele Kantinenklassiker, etwa Schnitzel mit Pommes oder Spaghetti Bolognese, sind ähnlich aufgestellt.
Aufgrund der Corona-Pandemie blieben viele Kantinen streckenweise geschlossen. Wie stark ist die Kantinenbelegung zurückgegangen?
Das ist sehr unterschiedlich. Dort, wo Homeoffice unproblematisch möglich ist, erreichen die Kantinen bis heute nur 20 Prozent der alten Gästezahlen. Im produzierenden Gewerbe sind es immerhin schon wieder rund 60 Prozent.

Welche Belegungsquote erwarten Sie künftig?
Wir gehen mittelfristig davon aus, dass etwa 65 bis 75 Prozent der Gäste zurückkehren werden. Starken Einfluss hat weiterhin das Homeoffice. Es haben sich aber auch neue individuelle Gewohnheiten gebildet. Manche kochen jetzt mehr selbst, andere haben ein neues Lieblingsrestaurant, einige verzichten ganz auf das Mittagessen. Das ist sehr unterschiedlich.
Nehmen Nachfrage und Angebot von vegetarischen Gerichten in der Betriebsgastronomie nachweislich zu?
Eindeutig! Heute sind vegetarische Angebote auch in der Betriebsgastronomie eine Selbstverständlichkeit. Es hapert eher an der Vielfalt und Attraktivität, da viele Köchinnen und Köche nach wie vor besser und lieber Fleisch zubereiten.
Aufgrund des durch Klimawandel und Pandemie gestiegenen Gesundheitsbewusstseins werden vegetarische, nachhaltige und gesundheitsförderliche Angebote immer wichtiger. Eine Kantine, die entsprechend arbeitet, trägt im Unternehmen zu Employer Branding, Gesundheit und Nachhaltigkeit bei.

Gibt es bei der Speisenwahl in der Kantine Unterschiede zwischen den Generationen?
Ja! Für die ältere Generation sind traditionelle Angebote nach wie vor sehr wichtig. Die Jüngeren entscheiden sich für die Kantine, wenn sie dort auch internationale und trendige Angebote vorfinden. Dazu gehören zum Beispiel Asia-Food, Burger, Pizza, Pasta, Vegetarisches, Plant-based und Crossover.
Bei konzeptionellen Veränderungen dieser Art ist ein schrittweises Vorgehen sehr wichtig, da Essen ein sehr emotionales Thema ist und aus vielen Gewohnheiten besteht. So reagieren diejenigen, denen „etwas weggenommen wird“, lauter als andere. Ein prominentes Beispiel ist die so laute Diskussion rund um die Currywurst bei VW. Deshalb braucht es einen langfristigen Ansatz und ein gutes Kommunikationskonzept.

Sie haben ein Messsystem zur Gesundheitsorientierung in der Kantine entwickelt. Wie funktioniert es?
Wir bieten Unternehmen die Möglichkeit, Betriebsgastronomie leistungsorientiert bezüglich Qualität und Gesundheitsorientierung zu steuern. Dafür werden die unternehmensspezifischen Qualitätskriterien und der gewünschte Grad an Gesundheitsorientierung in ein Qualitätssicherungssystem integriert, das aus einer Web-Anwendung, Audits, Gästebefragungen und Mystery-Shopping besteht. Die Basis ist das Gastronomische Ampelsystem, kurz GAS, das Professor Peinelt an der Hochschule Niederrhein für die Gemeinschaftsverpflegung entwickelt hat. Damit werden Rezepturen ernährungsphysiologisch bewertet und in Ampelfarben kategorisiert: Die Farbe Grün steht für ausgewogen und gesundheitsförderlich, Gelb für mittel, Rotes sollte höchstens einmal in der Woche auf den Teller. In Kombination mit Verbrauchsdaten wird der Gesundheitswert ermittelt, eine branchenweit vergleichbare Kennziffer über die Gesundheitsorientierung einer Kantine.
Mit diesem System können Kantinen motiviert werden, gesundheitsorientierte Speisen attraktiver zu machen als bisher. So werden Gäste nach allen Regeln der Kunst zu gesundem Essen „verführt“, ohne sie zu bevormunden und ihnen zum Beispiel die geliebte Currywurst ganz zu streichen. Es braucht mehrdimensionale Steuerungsmodelle, die neben den Kosten auch andere Faktoren berücksichtigen. Eine falsch gesteuerte Kantine führt zu mehr als nur finanziellen Verlusten: Es geht um Mitarbeiterzufriedenheit, gastronomische Qualität, Gesundheit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit.
Werden in den Kantinen bislang überwiegend Speisen aus dem roten Bereich angeboten?
Interessanterweise sind 56 Prozent der verkauften Gerichte gelb und 31 Prozent rot. 14 Prozent sind grün. Dabei sind gerade die gelben Gerichte eher aufwendig und hochpreisig im Wareneinsatz – die Betriebsgastronomie meint es also gut mit ihren Gästen! Noch besser wäre allerdings ein ausgewogenes, wirklich attraktives Angebot mit vielen grünen Angeboten. Besonders, weil viele Gäste jeden Tag in die Kantine gehen. Für ein Unternehmen, das seine Kantine bezuschusst – was meistens der Fall ist –, ist das aktuelle Angebot doppelt negativ: Rote und auch gelbe Essen verstärken das bekannte Mittagstief, tragen zu ernährungsbedingten Krankheiten bei und sind weniger nachhaltig. Provokant gefragt: Würden Sie diejenigen, die ins hauseigene Fitnessstudio gehen, motivieren, auf Kosten des Unternehmens ein Bier zu trinken anstatt zu trainieren?

Wie bringen Sie Unternehmen dazu, sich konkret nach Ihrer Ampel zu richten?
Gastronomie ist immer dann erfolgreich, wenn das Essen schmeckt. Wenn das gastronomische Ampelsystem ein verbindlicher Teil der Vereinbarung zwischen Unternehmen und Betriebsgastronomie ist, wird Gesundheitsorientierung zu einem Erfolgsfaktor, der sich auch finanziell auswirkt. In Eigenregiebetrieben kann der Gesundheitswert in Zielvereinbarungen aufgenommen werden. In der Fremdregie wird vertraglich geregelt, dass die Subvention einen variablen Anteil bezüglich des Gesundheitswertes erhält. Das hat Verbindlichkeit und schafft Anreize für ein gesundheitsförderliches und zugleich attraktives Angebot.
Wie sieht Ihre Vision von der Kantine der Zukunft aus?
Ich sehe die Betriebsgastronomie als Motivator und Unterstützer für eine ausgewogene Ernährung. Sie wird mehr denn je ein wichtiger Ort der Begegnung und ein Ausdruck der Wertschätzung durch das Unternehmen. Vor Ort durch ein ganzheitliches Kantinenerlebnis, für das Homeoffice durch eine Unterstützung für die Ernährung zu Hause. Die Betriebsgastronomie schafft Erlebnisse, gibt Impulse, liefert Ideen und motiviert die Gäste generell, ausgewogener zu essen. Beim Thema Homeoffice werden Lieferungen einen eher kleinen Teil einnehmen. Aber Rezepte, Filme, halb fertige Gerichte oder Grundsossen zum Mitnehmen für die nächsten Tage werden einen neuen Sektor bilden. Durch die veränderten Arbeitswelten vor Ort ergeben sich weitere Kontaktpunkte, die alle mit einer genussvollen und leistungserhaltenden Ernährung überraschen sollten.
Was mir ganz wichtig ist: Das alles heisst nicht, dass es die Currywurst nicht mehr gibt. Es muss nur sichergestellt sein, dass alles – also auch die Currywurst – ernährungsphysiologisch maximal hochwertig gekocht wird und Verhältnisse geschaffen werden, die es dem Gast leicht machen, zum gesundheitsorientierten Angebot zu greifen. Dies sollte zur Selbstverständlichkeit werden.
Vielen Dank.