Ein Interview mit dem Neurobiologen Dr. Bernd Hufnagl über die Bedeutung von kurzen Auszeiten während der Arbeit, über Entschleunigung, Effizienz und die Auswirkungen des vermehrten Einsatzes von KI.

Büroblog Schweiz: Wie sieht die ideale Pause für das Gehirn aus der Sicht eines Neurobiologen aus?
Dr. Bernd Hufnagl: Die ideale Pause bietet dem Gehirn die Möglichkeit, von Reizüberflutung Abstand zu nehmen und sich zu regenerieren. Dies bedeutet, dass die Pause frei von digitalen Geräten sein sollte. Aktivitäten wie ein Spaziergang in der Natur, Atemübungen oder einfach nur das Betrachten einer natürlichen Umgebung (zum Beispiel aus dem Fenster hinaussehen) wirken besonders positiv, da sie Stresshormone reduzieren und die Aktivierung des parasympathischen Nervensystems fördern. All das hilft, die mentale Leistungsfähigkeit zu erhalten oder sogar zu steigern.
Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir im Alltag dauerhaft zu wenig Pausen machen?
Wenn wir unserem Gehirn dauerhaft keine Erholung gönnen, bleibt das Stresssystem aktiv. Dies führt zu einer chronischen Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol. Langfristig kann dies die neuronalen Verbindungen im Hippocampus, dem Zentrum für Gedächtnis und Lernen, beeinträchtigen. Zudem sinkt unsere Fähigkeit, Abstand zu uns selbst zu gewinnen, Informationen zu verarbeiten und kreative Lösungen zu finden. Chronische Überlastung kann auch das Risiko für Burnout und psychische Erkrankungen erhöhen.
Gibt es eine Faustregel, wie häufig und wie lange wir Pausen machen sollten?
Als Faustregel schlage ich das vor, was ich selbst praktiziere: Nach jeder (Computer-)Arbeit, die länger als 30 Minuten konzentrierten Arbeitens an einer einzigen Aufgabe fordert, fünf Minuten Nichtstun, bevor man mit der nächsten Aufgabe beginnt. Wichtig: Kürzere, regelmässige Pausen sind effektiver als lange Unterbrechungen. Mikropausen sind entscheidend. Wichtig ist, dass die Pausen wirklich der Erholung dienen – also kein E-Mail-Checken oder Scrollen durch soziale Medien und auch keine arbeitsrelevanten Gespräche mit Kollegen oder Kolleginnen führen.
Sie betonen die Kraft und Bedeutung von Entschleunigung. Was machen diese Zustände mit uns?
Pausen ohne Aufgaben aktivieren Netzwerke im Gehirn, die während der fokussierten Arbeit nicht genutzt werden, wie das sogenannte Default-Mode-Network, oder wie ich es nenne: das Tagtraum-Netzwerk. Dieses Netzwerk ist essenziell für Empathie, Kreativität und Selbstreflexion. In Momenten ohne spezielle Aufgabe – im nicht-zielgerichteten Denken – verarbeitet unser Gehirn Erlebnisse und verknüpft Informationen auf neue Weise, was zu neuen Ideen führen kann. Entschleunigung ermöglicht uns, wieder mit unseren grundlegenden Bedürfnissen – eigentlich mit uns selbst – in Kontakt zu kommen und langfristig stressresistenter zu werden.
Wie lassen sich Entschleunigung und die Forderung nach immer mehr Effizienz in Einklang bringen?
Entschleunigung und Effizienz schliessen sich nicht aus – sie ergänzen sich. Menschen, die regelmässig entschleunigen, können sich besser konzentrieren, sind kreativer und treffen klarere Entscheidungen. Organisationen sollten Rahmenbedingungen schaffen, die Pausen und Flexibilität zulassen, da langfristige Effizienz nicht durch permanente Beschleunigung, sondern durch eine gesunde Balance von Be- und Entschleunigung entsteht. Hier sind gezielte Arbeitszeitmodelle und eine gesunde Unternehmenskultur entscheidend – wenn Mitarbeitende die Chancen auch erkennen und entsprechend nutzen.
Wird der vermehrte Einsatz von KI unser Gehirn weiter belasten oder sehen Sie Chancen für weniger Stress für Büroarbeiter?
Der Einsatz von KI bietet grosses Potenzial, Routineaufgaben zu übernehmen und somit den kognitiven Ballast zu reduzieren. Dies kann Büroarbeitende entlasten und ihnen ermöglichen, sich auf kreative, strategische und zwischenmenschliche Aspekte ihrer Arbeit zu konzentrieren. Allerdings birgt KI auch die Gefahr, die Informationsflut weiter zu steigern. Daher ist ein bewusster Umgang mit KI essenziell, um den Stresslevel nicht zu steigern, sondern tatsächlich zu senken. Aufklärung und Schulungen in Medienkompetenz sind – altersunabhängig – entscheidend.
Vielen Dank.