Jugendliche und junge Erwachsene waren selten zuvor derart politisch und auf gesellschaftliche Problemlagen fokussiert wie heute. Die alten Entscheider geraten unter Druck. Im Interview erklärt der Jungunternehmer und Autor Samuel Koch, warum das so ist.
Büroblog Schweiz: Herr Koch, in Ihrem Buch „Die Welt, die ihr nicht mehr versteht“ fordern Sie, dass die ältere Generation alle Schalthebel der Gesellschaft den Jungen überlassen soll. Wie kommen Sie darauf?
Samuel Koch: Europa ist gerade dabei, komplett den Anschluss zu verlieren. Während Amerika und China den Innovationston angeben und es schaffen, den digitalen Kunden zufriedenzustellen, ertrinken wir in Bürokratie und Zukunftsangst. Es gibt aus meiner Sicht ein komplettes Missverständnis über den Wandel, in dem wir uns befinden. Das hat nichts mit dem Schüren von Ängsten zu tun, sondern mit einem Reality-Check. Ich bin davon überzeugt, dass die junge Generation zwar nicht alles besser macht, aber einen wesentlichen Vorteil gegenüber der älteren Generation hat: Keine intrinsischen, patriarchalischen Strukturen und eine Feinfühligkeit gegenüber den Themen, die unsere Zukunft formen werden. Deshalb schlage ich vor, dass die ältere Generation den jungen Menschen aufrichtig zuhört, ihnen im besten Fall die Hände auf die Schulter legt und sie bestmöglich unterstützt sowie gestalten lässt. Es geht hier nicht darum, alles, was alt ist, einzureissen, sondern einen fruchtbaren Boden vorzubereiten, auf dem die Zukunft errichtet werden kann. Dass reife Früchte geerntet und neue Pflanzen nachgepflanzt werden, ist ein ganz normaler Prozess.
Können die Weltprobleme (Klimawandel, Hunger oder Migrationsbewegungen) durch einen neuen Kampf der Generationen gelöst werden?
Krieg und Kampf sind per se nie der richtige Weg. Miteinander ist immer besser als gegeneinander. Fakt ist aber auch, dass die heissesten Themen, zumindest unter der jungen Generation, Aspekte wie Bildung, neue Welt der Arbeit und Klimawandel sind. Auch ich finde nicht jeden aktuell geführten Diskussionsstil zielführend.
Was meinen Sie damit?
Gerade aufgrund des durch die Digitalisierung verstärkten Generationenkonflikts driften wir sehr in die Extreme. Das mag manchmal gut für eine Anregung sein, ist aber oft nicht sehr lösungsorientiert. Ergo ist eine kämpferische Auseinandersetzung eine gute Möglichkeit, um die europäische Unfähigkeit, professionell zu streiten, zu unterstützen. Um aber die grossen Probleme, die wir übrigens global lösen müssen, dann zu katalysieren und zu lösen, brauchen wir, die Jungen, umso mehr die ältere Generation, weil gerade sie über die Mittel verfügt, um Veränderungen in die Praxis zu bringen.
Lassen sich Gesellschaft und Politik wie ein jugendlich hippes Start-up gestalten und dauerhaft lenken?
Start-ups mögen durchaus „jugendlich“ und „hipp” wirken. Essenziell ist aber immer das, was wirklich drinnen steckt. Ich bin ein grosser Fan von Authentizität und Transparenz. Das sind übrigens genau die Eigenschaften, die Start-ups mitbringen. Aber lassen Sie uns kurz über die wesentlichen Eigenschaften eines Start-ups sprechen. An erster Stelle steht der Wunsch, den Status quo herauszufordern. Ein Start-up ist aus meiner Sicht dann erfolgreich, wenn es das aufrichtige Ziel hat, einen Mehrwert zu leisten. Dieser Mehrwert, zum Beispiel für die Gesellschaft, hat oft damit zu tun, bisherige Lösungen herauszufordern und neu zu erdenken. Das hält nicht nur den Geist jung, sondern sorgt auch für natürliche Innovation. Eine nächste Wesenseigenschaft ist flache Hierarchie. Jetzt kann natürlich der Vorwurf kommen: Mit zehn Leuten ist das ja easy. Logisch ist das für einen Konzern bzw. eine ganze Gesellschaft viel schwieriger, aber entscheidend ist vor allem die Einstellung der Führungspersönlichkeiten. Selbstlosigkeit und echte Dienstbereitschaft sind ein Mindset. Wie Sie sehen, hat das wenig mit Lifestyle zu tun, sondern mit einem Perspektivenwechsel.
Sie entwerfen ein optimistisches Bild von der digitalen Zukunft. Worin unterscheiden sich die neuen Hoffnungen und Utopien, die auf Digitalisierung beruhen, von der Technikgläubigkeit der älteren Generation?
Das ist für mich ganz offensichtlich. In der älteren Generation herrscht ein regelrechter Zukunftspessimismus. Der Zukunftsbegriff ist sehr negativ behaftet, und professionelles Träumen ist im System sowieso nicht vorgesehen. Die Hoffnungen der jungen Generation beziehen sich nicht auf Zweckoptimismus. Die Grundlage unserer Träume ist nicht die Entscheidung zwischen Sicherheit und Freiheit, sondern eine Kombination daraus. Wir müssen nicht mehr aufbauen und uns mit Händen und Füssen verteidigen. Unser Blick ist nicht auf die Seite gerichtet mit der Frage: Was kannst du mir wegnehmen? Das Leben und die Arbeit sind für uns keine Strafe, sondern ein Geschenk, das es grosszügig einzusetzen gilt. Die Entwicklung hin zur mehr Qualität als Quantität bei der Arbeit wird uns dies auch ermöglichen. Alles was automatisiert werden kann, wird automatisiert werden. Die klassische Lohnarbeit hat ein Ablaufdatum, und die kreative Arbeit, die die eigenen Talente herausfordert, wird das neue Zentrum unserer Tätigkeit darstellen.
Die junge Generation liebt die Selbstverwirklichung. Wie lässt sich diese mit dem Gemeinwohl vereinbaren?
Ich würde das etwas anders formulieren: Wir lieben die Selbstverwirklichung nicht im Sinne eines romantischen, unerreichbaren Ideals, sondern wir sehen Selbstverwirklichung als eine Grundvoraussetzung an, die nicht nur eine Nice-to-have-Option ist. Wenn Selbstverwirklichung nur eine Sache für eine bestimmte Gruppe wäre, dann hätte sie ihren Sinn und Zweck verloren. Um die Selbstverwirklichung zu demokratisieren, müssen wir sie zugänglich machen. Dafür müssen alte Strukturen fallen und das Mindset des selbstständigen Denkens und Hinterfragens eine Grundvoraussetzung werden. Was das Gemeinwohl betrifft, möchte ich Ihnen eine Frage stellen: Finden Sie nicht auch, dass 2019 das beste Jahr ist, um am Leben zu sein? Das kommende Jahr wird das bestimmt übertrumpfen. Sprich der Lebensstandard wird nicht abnehmen. Weniger Menschen werden in Armut leben, und dem Streben nach ökonomischer Gerechtigkeit werden wir immer näherkommen. In diesem Sinne denke ich, dass die Förderung eines selbstbestimmten Lebens absolut mit den technischen Möglichkeiten und einer friedlichen Gesellschaft einhergehen kann.
Wie stellen Sie sich ein Miteinander von Alten und Jungen vor, damit die Gesellschaft im Ganzen davon profitiert?
Das Miteinander muss definitiv von Wertschätzung und Respekt geprägt sein. Mit dieser Grundlage müssen wir aber den kollektiven Mut aufbringen, einen echten Mindset-Change zu fördern. Ich bin davon überzeugt, dass sowohl Alt und Jung gemeinsam in die Zukunft gehen können, wenn wir uns auf Augenhöhe bewegen und die Diktatur der Hierarchie abschaffen. Mir kommt der Begriff des lebenslangen Lernens in den Sinn, der auch unsere gemeinsame Zukunft sehr prägen wird. Sich ständig neu zu erfinden, muss keine Belastung sein, sondern auch gesellschaftlich als etwas Normales und Gutes angesehen werden.
Wie werden Sie damit umgehen, wenn man später Ihren Rückzug von allen Positionen aus Altersgründen fordert?
Sämtliche meiner Unternehmungen sind so designed, dass ich so früh wie möglich obsolet werde bzw. die nächste Generation maximalen Nutzen daraus ziehen kann. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass, wenn die Hauptintention nicht der Aufbau einer Machtstruktur, sondern das Inspirieren und Zurückgeben an die Menschen ist, auch der wirtschaftliche Erfolg viel langlebiger und authentischer sein wird. Mein langfristiger Traum ist es, mit kreativen und ambitionierten Menschen zu sein. Da spielt Hierarchie keine Rolle. Kurz: Ich bereite meinen Rückzug jetzt schon vor, wobei sich der Rückzug vermutlich gar nicht wie ein Rückzug anfühlen wird.
Vielen Dank für das Gespräch.
Die Fragen stellte Martin A. Völker.