Der Unsinn mit dem Sinn: Ingo Hamm im Interview

Den Sinn in sei­ner Arbeit muss jeder selbst fin­den. Ein edler Unter­neh­menspur­po­se rei­che dafür nicht aus. Wie er das meint, hat uns der Wirt­schafts­psy­cho­lo­ge Prof. Dr. Ingo Hamm im Gespräch verraten.

Steht dem verordneten Purpose vieler Unternehmen kritisch gegenüber: Prof. Dr. Ingo Hamm. Abbildung: Julian Beekmann Fotografie
Steht dem ver­ord­ne­ten Pur­po­se vie­ler Unter­neh­men kri­tisch gegen­über: Prof. Dr. Ingo Hamm. Abbil­dung: Juli­an Beek­mann Fotografie

Büroblog Schweiz: Herr Professor Dr. Hamm, Ihr Buch „Sinnlos glücklich“ will den heute an allen Ecken begegnenden Unternehmens-Purpose als Etikettenschwindel entlarven. Was ist denn das Problem mit diesem?

Prof. Dr. Ingo Hamm: Man muss lei­der nüch­tern fest­stel­len, dass trotz Pur­po­se und vie­ler New-Work-Ver­spre­chun­gen vie­le Men­schen mit ihrer Arbeit unzu­frie­den sind und sich trotz ver­ord­ne­tem Unter­neh­mens­sinn ganz per­sön­lich sehr wohl die Sinn-Fra­ge stel­len. Des­halb woll­te ich der Sache auf den Grund gehen. Ich woll­te den Unsinn mit dem Sinn been­den. Mir geht es dabei nicht um „Bera­ter-Bas­hing“ oder „Cor­po­ra­te Fin­ger Poin­ting“. Ich will viel­mehr zei­gen: Die Ant­wort auf die Sinn­fra­ge ist längst gefun­den! Phi­lo­so­phie und Psy­cho­lo­gie haben längst her­aus­ge­fun­den, was Sinn macht.

Sinn ist also kein Benefit, mit dem man um Fachkräfte werben kann?

Es gibt kei­nen funk­tio­nie­ren­den Sinn, wenn er, wie der Pur­po­se, von außen oder von oben vor­ge­ge­ben wird. Sinn lässt sich nicht ver­ord­nen. Man muss selbst sei­nen eige­nen Sinn fin­den, in der eige­nen Tätig­keit, durch das eige­ne, ganz kon­kre­te Tun. Sinn taugt also nicht zu Wer­be­zwecken. Ich wür­de eher sagen: Sinn ist Selbst­ver­ant­wor­tung, aber auch Chef­sa­che. Jeder Vor­ge­setz­te, der sei­ne Team­mit­glie­der schätzt, soll­te ihnen hel­fen, Sinn in ihrer Arbeit zu fin­den. Vie­le ver­wech­seln das mit „Moti­va­ti­on“, aber wenn ein Vor­ge­setz­ter sei­ne Team­mit­glie­der moti­vie­ren muss, stimmt etwas nicht. Dann hat er näm­lich vor­her schon die intrin­si­sche Moti­va­ti­on sei­ner Leu­te kaputt­ge­macht – oder sie war nie wirk­lich da.

Wäre es nicht am besten, wenn man Sinn in seiner Arbeit finden UND das Unternehmen einen hehren Zweck verfolgen würde?

Ich hal­te es wie Vik­tor Frankl, der sag­te: „Sinn kann nicht gege­ben, son­dern muss gefun­den wer­den.“ Und zwar von jedem Men­schen selbst. Vor­sa­gen funk­tio­niert nicht. Wenn Men­schen, die ihren Sinn gefun­den haben, die­sen beschrei­ben, ist das immer sehr kon­kret und kom­pe­tenz­be­zo­gen, zum Bei­spiel: „Ich hel­fe Men­schen!“, „Ich beherr­sche das, was ich täg­lich tue.“, „Ich bewir­ke sicht­ba­re Ergeb­nis­se mit mei­ner Arbeit.“ Und in dem Sin­ne sind die Taten des Unter­neh­mens die Sum­me aller Taten der Mit­ar­bei­ten­den – nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Purpose gehört zu New Work wie duzen und weiße Turnschuhe. Was halten Sie von dieser Bewegung?

New Work ist wich­tig, wenn es um die per­ma­nen­te kri­ti­sche Refle­xi­on von Arbeits­be­din­gun­gen, von Füh­rungs­sti­len, von Unter­neh­mens­kul­tu­ren geht – und zwar nicht nur aus Sicht des Wohl­erge­hens des Ein­zel­nen, son­dern auch der stän­di­gen Neu­erfin­dung von mensch­li­cher Pro­duk­ti­vi­tät und Krea­ti­vi­tät. Aber vie­le New-Work-Kon­zep­te erschei­nen mir neu­er­dings wie nahe­zu wahl­lo­se Köder im Teich der knap­pen Fach­kräf­te, nach dem Mot­to: „Alles mal anbie­ten, was Men­schen pri­vat bewegt.“

Lassen sich Beschäftigte extrinsisch motivieren? Zu irgendetwas müssen doch die ganzen Benefits gut sein.

Zu vie­le äuße­re Anrei­ze, zum Bei­spiel mone­tä­rer Art, (zer)stören die intrin­si­sche Moti­va­ti­on, die eigent­li­che Sinn­ge­bung bei der Arbeit, die Erfül­lung in der kon­kre­ten Tätig­keit. Dazu gibt es erschüt­tern­de Stu­di­en, in denen zum Bei­spiel Kin­der Bil­der malen soll­ten. Die eine Grup­pe bekam dafür eine mate­ri­el­le Beloh­nung, die ande­re nicht. Die belohn­te Grup­pe woll­te nach eini­gen Durch­gän­gen ohne Beloh­nung gar nicht mehr malen. Die unbe­lohn­te Grup­pe mal­te mun­ter wei­ter: Die Beloh­nung hat­te die erste Grup­pe einer der belieb­te­sten Tätig­kei­ten von Kin­dern beraubt. Weil nicht die Beloh­nung, son­dern die Tätig­keit an sich sinn­stif­tend ist! Ergo könn­te man mah­nen: Über­treibt es in Unter­neh­men nicht mit mone­tä­ren und mate­ri­el­len Anrei­zen! Lei­der kommt die­se War­nung für die mei­sten Unter­neh­men zu spät. Sie über­schüt­ten die Beleg­schaft förm­lich mit äuße­ren Anrei­zen und wun­dern sich, dass die Men­schen den­noch inner­lich kün­di­gen – denn sie kom­men nicht mehr zu dem, was sie ger­ne machen und schon immer gut konnten.

Vielen Dank.

Die Fra­gen stell­te Robert Nehring.

Sinnlos glücklich

BUCHTIPP:

Ingo Hamm:

Sinn­los glück­lich: Wie man auch ohne Pur­po­se Erfül­lung bei der Arbeit fin­det*“,

Vah­len 2021, 259 S., 26,90 €.