Den Sinn in seiner Arbeit muss jeder selbst finden. Ein edler Unternehmenspurpose reiche dafür nicht aus. Wie er das meint, hat uns der Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Ingo Hamm im Gespräch verraten.
Büroblog Schweiz: Herr Professor Dr. Hamm, Ihr Buch „Sinnlos glücklich“ will den heute an allen Ecken begegnenden Unternehmens-Purpose als Etikettenschwindel entlarven. Was ist denn das Problem mit diesem?
Prof. Dr. Ingo Hamm: Man muss leider nüchtern feststellen, dass trotz Purpose und vieler New-Work-Versprechungen viele Menschen mit ihrer Arbeit unzufrieden sind und sich trotz verordnetem Unternehmenssinn ganz persönlich sehr wohl die Sinn-Frage stellen. Deshalb wollte ich der Sache auf den Grund gehen. Ich wollte den Unsinn mit dem Sinn beenden. Mir geht es dabei nicht um „Berater-Bashing“ oder „Corporate Finger Pointing“. Ich will vielmehr zeigen: Die Antwort auf die Sinnfrage ist längst gefunden! Philosophie und Psychologie haben längst herausgefunden, was Sinn macht.
Sinn ist also kein Benefit, mit dem man um Fachkräfte werben kann?
Es gibt keinen funktionierenden Sinn, wenn er, wie der Purpose, von außen oder von oben vorgegeben wird. Sinn lässt sich nicht verordnen. Man muss selbst seinen eigenen Sinn finden, in der eigenen Tätigkeit, durch das eigene, ganz konkrete Tun. Sinn taugt also nicht zu Werbezwecken. Ich würde eher sagen: Sinn ist Selbstverantwortung, aber auch Chefsache. Jeder Vorgesetzte, der seine Teammitglieder schätzt, sollte ihnen helfen, Sinn in ihrer Arbeit zu finden. Viele verwechseln das mit „Motivation“, aber wenn ein Vorgesetzter seine Teammitglieder motivieren muss, stimmt etwas nicht. Dann hat er nämlich vorher schon die intrinsische Motivation seiner Leute kaputtgemacht – oder sie war nie wirklich da.
Wäre es nicht am besten, wenn man Sinn in seiner Arbeit finden UND das Unternehmen einen hehren Zweck verfolgen würde?
Ich halte es wie Viktor Frankl, der sagte: „Sinn kann nicht gegeben, sondern muss gefunden werden.“ Und zwar von jedem Menschen selbst. Vorsagen funktioniert nicht. Wenn Menschen, die ihren Sinn gefunden haben, diesen beschreiben, ist das immer sehr konkret und kompetenzbezogen, zum Beispiel: „Ich helfe Menschen!“, „Ich beherrsche das, was ich täglich tue.“, „Ich bewirke sichtbare Ergebnisse mit meiner Arbeit.“ Und in dem Sinne sind die Taten des Unternehmens die Summe aller Taten der Mitarbeitenden – nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Purpose gehört zu New Work wie duzen und weiße Turnschuhe. Was halten Sie von dieser Bewegung?
New Work ist wichtig, wenn es um die permanente kritische Reflexion von Arbeitsbedingungen, von Führungsstilen, von Unternehmenskulturen geht – und zwar nicht nur aus Sicht des Wohlergehens des Einzelnen, sondern auch der ständigen Neuerfindung von menschlicher Produktivität und Kreativität. Aber viele New-Work-Konzepte erscheinen mir neuerdings wie nahezu wahllose Köder im Teich der knappen Fachkräfte, nach dem Motto: „Alles mal anbieten, was Menschen privat bewegt.“
Lassen sich Beschäftigte extrinsisch motivieren? Zu irgendetwas müssen doch die ganzen Benefits gut sein.
Zu viele äußere Anreize, zum Beispiel monetärer Art, (zer)stören die intrinsische Motivation, die eigentliche Sinngebung bei der Arbeit, die Erfüllung in der konkreten Tätigkeit. Dazu gibt es erschütternde Studien, in denen zum Beispiel Kinder Bilder malen sollten. Die eine Gruppe bekam dafür eine materielle Belohnung, die andere nicht. Die belohnte Gruppe wollte nach einigen Durchgängen ohne Belohnung gar nicht mehr malen. Die unbelohnte Gruppe malte munter weiter: Die Belohnung hatte die erste Gruppe einer der beliebtesten Tätigkeiten von Kindern beraubt. Weil nicht die Belohnung, sondern die Tätigkeit an sich sinnstiftend ist! Ergo könnte man mahnen: Übertreibt es in Unternehmen nicht mit monetären und materiellen Anreizen! Leider kommt diese Warnung für die meisten Unternehmen zu spät. Sie überschütten die Belegschaft förmlich mit äußeren Anreizen und wundern sich, dass die Menschen dennoch innerlich kündigen – denn sie kommen nicht mehr zu dem, was sie gerne machen und schon immer gut konnten.
Vielen Dank.
Die Fragen stellte Robert Nehring.
BUCHTIPP: Ingo Hamm: „Sinnlos glücklich: Wie man auch ohne Purpose Erfüllung bei der Arbeit findet*“, Vahlen 2021, 259 S., 26,90 €. |