In seiner Kolumne erläutert Timm Urschinger, CEO der Schweizer LIVEsciences AG, neue und innovative Organisationsmodelle für Unternehmen. Dieses Mal geht es um eine Begriffsdefinition von Teal und den Weg zu einem eigenen New-Work-Setup.

New Work ist ein Sammelbegriff für alle möglichen Strömungen, die der strukturelle Wandel der Arbeitswelt mit sich bringt. Der Begriff wird gebraucht, um Digitalisierung, hybrid und remote Work sowie andere Arten der Zusammenarbeit wie Agilität, Selbstorganisation oder flache Hierarchien zu beschreiben. Aber auch im Sinne einer neuen Arbeitsumgebung und der modernen Gestaltung von Büroflächen. Ausserdem wird er verwendet für eine veränderte Führungshaltung und ein neues Führungsverhalten.
Die Definition von New Work ist sehr breit! Meistens liest sich das in etwa so: New Work beschreibt den strukturellen Wandel unserer Arbeitswelt – bedingt durch die Digitalisierung und veränderte Anforderungen durch die Bedürfnisse der Generation Y. Man versucht zu erklären, was sich nur schwer erklären lässt – weil sich das sogenannte New Work ständig im Wandel befindet. Für die meisten Unternehmen bedeutet es vor allem ein vollkommen neues Mindset. George Bernhard Shaw hat es schön formuliert: „Progress is impossible without change, and those who cannot change their minds cannot change anything.“ Zu Deutsch: „Fortschritt ist ohne Veränderung unmöglich, und wer seine Meinung nicht ändern kann, kann gar nichts ändern.“
Teal – Organisationsmodell mit evolutionärer Denkweise
Warum sind manche Unternehmen erfolgreicher als andere? Was machen sie anders? Frederic Laloux hat sich mit diesen Fragen beschäftigt und Antworten darauf in „Reinventing Organizations“ (2014) veröffentlicht. Gleichzeitig prägte er den Begriff „Teal-Organisation“ für ein Unternehmen, das auf der Selbstverwaltung der Arbeitnehmer basiert. Seine „Bewusstseinsstufen von Organisationen“ gehen zurück auf „Spiral Dynamics“, also die Bewusstseinsstufen von Menschen.
Betrachten wir „Teal“ genauer, ist es ein High-Level-Konzept zu drei Themen, die gut mit allen oben genannten New-Work-Aspekten verwoben sind:
- Purpose / sinnhaftes Arbeiten
- Wholeness / Ganzheitlichkeit und Menschlichkeit
- Self-Management / Selbstorganisation
Das sind wesentliche Indikatoren dafür, dass eine Organisation ein Paradigma erreicht hat, das eine neue Bewusstseinsebene beschreibt. Zentral dabei ist, dass die Menschen, die in dieser Organisation zusammenarbeiten, ihr Ego zähmen und achtsamer werden, anerkennen, dass Dinge miteinander verwoben und für eine einzelne Person nicht in ihrer Gesamtheit erfassbar sind.
Anstatt sich also auf finanzielle Erfolge, Kontrollmechanismen und das Erscheinungsbild zu konzentrieren, welches der einzelne erfassen und kontrollieren kann, hören alle auf das System um sie herum. Jeder Beteiligte wächst in dieses Bewusstsein hinein und mit ihm die gesamte Organisation. Bei LIVEsciences waren wir vor sieben Jahren der Ansicht, dass die klassische Strukturierung einer Organisation nicht mit unseren Werten einherging.

Schöne neue (Business-)Welt – an einem Beispiel erklärt
Wir leben in der VUCA-Welt, die eine schnelle Reaktions- und Entscheidungsfähigkeit verlangt. Ein innovatives Arbeitsumfeld, das Menschen motiviert. Kundenzentriertes Denken und Innovationsfähigkeit – basierend auf dem Willen, echte Wirkung zu erzielen. Und all das in Einklang mit ökonomischen Zielen zu bringen. Kurz: Wir versuchen, „Geschäft mit Sinn“ und „Sinn fürs Geschäft“ zu vereinen.
Bei uns bedeutet das – auch wenn sich Details immer wieder leicht ändern: keine formalen Hierarchien, keine Linienvorgesetzten. Stattdessen: Selbstorganisation. Sinn und Wirkung als Teil des Entscheidungsprozesses. Eine diverse Teamkultur auf Augenhöhe. Konstruktive Konfliktlösungen. Radikale Transparenz bis hin zu selbstbestimmten Gehältern. Und weitere Aspekte, wie wir im Alltag Meetings, Prozesse und Zusammenarbeit ein klein wenig anders gestalten.

Definition der Rollen, die jetzt gebraucht werden
Dabei wollten wir drei Gründer vor allem eines sicherstellen: Dass das New-Work-Setup nicht nur für uns funktioniert, sondern „ready to scale“ ist. Im Zuge dessen fanden wir heraus, dass rollenbasiertes Arbeiten einen massiven Unterschied zu jobbasiertem Arbeiten macht. Wir definierten einige Rollen mit der Frage: Was könnten wir in zwei, drei Jahren benötigen, was könnten unsere Kunden in zwei, drei Jahren benötigen. Ein grosser Fehler! Wir brauchten etwa drei Monate, um zu merken, was die richtigen Fragen sind: Was brauchen wir jetzt gerade für Rollen? Wie organisieren wir uns an jedem einzelnen Tag?
Darauf basierend definierten wir grösstenteils sehr klassische Rollen wie Finanzen, Rechtsabteilung, Collaboration Facilitator (IT-Themen am Anfang). Aber auch einige anders anmutende Rollen wie beispielsweise den LIVEguard, der dafür sorgen sollte, dass wir unserem Purpose folgen und dass die ökonomischen Ziele nicht überhandnehmen.
Wir diskutierten darüber, ob klassische Managementmodelle und -tools wie DB-Rechnungen, Cashflow, Ziele, Strategien, Roadmaps und Pläne fortan schlecht und nicht mehr zu gebrauchen seien. Kamen jedoch zu dem Schluss, dass wir für ein erfolgreiches New-Work-Setup alle möglichen Einflüsse und Elemente beider „Welten“ verbinden müssen.
Daraus entstand schliesslich ein kurzes Dokument, unsere LIVEline, die beschreibt, wie wir Arbeit generell, New Work im Speziellen und unsere Zusammenarbeit betrachten. Welche Prinzipien und Glaubenssätze gelten und wie unsere Kultur aussehen soll.
Erfolgreich am Markt etabliert
Sechs Jahre später sind wir 20 permanente Mitarbeitende und erfolgreich am Markt positioniert, in einigen Regionen sogar als „Teal Thoughtleader“. Unser New-Work-Setup hat sich weiterentwickelt, aber viele der Grundpfeiler sind weiter vorhanden: Unsere LIVEline hat sich kaum verändert. Unser rollenbasiertes Arbeiten ist weiterhin Grundprinzip, auch wenn es deutlich mehr Rollen wurden. Wir haben neue Strukturen und Prozesse geschaffen zu Strategie- und Governance-Themen und sind unseren Glaubenssätzen treu geblieben.
In unseren kommenden Artikeln betrachten wir einige dieser New-Work-Themen genauer und geben Einblicke, wie diese sich in der täglichen Unternehmenspraxis entwickeln können und so die „gute alte“ Wirtschaftswelt mit dem New-Work-Business verbinden.
![]() Timm Urschinger, Mitgründer und CEO, LIVEsciences. |