New Work – Beyond the hype #3/7

In sei­ner Kolum­ne erläu­tert Timm Urschin­ger, CEO der Schwei­zer LIVE­sci­en­ces AG, neue und inno­va­ti­ve Orga­ni­sa­ti­ons­mo­del­le für Unter­neh­men. Der drit­te Teil zeigt, wie alle Mit­ar­bei­ten­den an unter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dungs­pro­zes­sen durch Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on teil­ha­ben können.

In selbst organisierten Unternehmen sind alle Mitarbeitenden mehr oder weniger gleichberechtigt bei Entscheidungen. Abbildung Shutterstock, Nr. 1694685346
In selbst orga­ni­sier­ten Unter­neh­men sind alle Mit­ar­bei­ten­den mehr oder weni­ger gleich­be­rech­tigt bei Ent­schei­dun­gen. Abbil­dung Shut­ter­stock, Nr. 1694685346

Agi­le oder selbst­or­ga­ni­sier­te Unter­neh­men benö­ti­gen eher mehr als weni­ger Füh­rungs­kräf­te! Para­dox, oder? Aber ein­fach erklärt: Weil jeder eine Füh­rungs­per­sön­lich­keit ist, über­neh­men auch alle Füh­rung – im Gegen­satz zu den weni­gen Aus­er­wähl­ten in tra­di­tio­nel­len hier­ar­chi­schen Orga­ni­sa­tio­nen. Es ist ein inter­es­san­ter Spa­gat, sei­ner eige­nen Ver­ant­wor­tung gerecht zu wer­den, ohne dabei zu direk­tiv oder zu kon­trol­lie­rend zu wirken.

Hohe Erwartungen und Forderungen erfüllen

In die­sem Bei­trag möch­te ich dar­auf ein­ge­hen, wie Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on im New-Work-All­tag tat­säch­lich funk­tio­niert. Sozu­sa­gen ein Deep Dive in unser eige­nes Vor­ge­hen. Wohl­wis­send, dass auch wir täg­lich dazu­ler­nen. Weil sich nicht nur das Umfeld und der Markt ver­än­dern, son­dern auch wir selbst als Men­schen und mit uns die Orga­ni­sa­ti­on es tut. Als CEO nach aus­sen und als Füh­rungs­kraft (unter vie­len) nach innen. Und obwohl oder gera­de weil wir uns als Unter­neh­men selbst ver­wal­ten, wird mir immer wie­der bewusst: Es gibt durch­aus hohe Erwar­tun­gen und For­de­run­gen nach Füh­rung und Auto­no­mie zugleich. Bei der Fül­le an Kon­zep­ten, Metho­den und Füh­rungs­ideen, die es bereits gibt und denen wir fol­gen, ist für mich ein Gedan­ke zen­tral: Wir müs­sen aner­ken­nen, dass wir nicht alles wis­sen. Denn nur so sind wir in der Lage, Mei­nun­gen los­zu­las­sen bzw. die­se von ech­ten Ein­wän­den zu unter­schei­den, um der Ver­ant­wor­tung gerecht zu wer­den, die wir für alles um uns her­um und uns selbst haben.

Das authentische Ich und die Potenzialentwicklung

Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und Inte­gri­tät gehö­ren zu unse­ren Grund­wer­ten, die sich in unse­rem voll­stän­dig hori­zon­tal (rol­len­ba­siert) struk­tu­rier­ten Team wider­spie­geln. Auf der Grund­la­ge von Fre­de­ric Lalouxs Buch „Reinven­ting Orga­nizati­ons“ und sei­ner Beschrei­bung einer „Teal Orga­ni­sa­ti­on“ ori­en­tie­ren wir uns an drei Grund­pfei­lern: Selbst­ma­nage­ment, Sinn & Zweck (Pur­po­se) und Ganz­heit­lich­keit. Es ist uns wich­tig, dass alle unse­re Cata­lysts ihr authen­ti­sches „Ich“ am Arbeits­platz aus­le­ben und ihr Poten­zi­al eigen­stän­dig entfalten.

In der flachen Hierarchie bei LIVEsciences ist jeder Catalyst eine agile Führungspersönlichkeit. Abbildung: Shutterstock, Nr. 278489681
In der fla­chen Hier­ar­chie bei LIVE­sci­en­ces ist jeder Cata­lyst eine agi­le Füh­rungs­per­sön­lich­keit. Abbil­dung: Shut­ter­stock, Nr. 278489681

Die Ein­füh­rung der Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on bedeu­te­te für uns das Los­las­sen von Kon­trol­le. Das führ­te zur Befä­hi­gung aller Mit­ar­bei­ten­den bis zu dem Punkt, an dem sie sogar über die Ein­la­gen der Grün­dungs­mit­glie­der als Grün­dungs­ka­pi­tal des Unter­neh­mens ent­schei­den konn­ten. In unse­rer fla­chen Hier­ar­chie ist jeder Cata­lyst eine agi­le Füh­rungs­per­sön­lich­keit. Dabei spielt Empower­ment eine ent­schei­den­de Rol­le. Also die Befä­hi­gung aller, ein siche­res Umfeld zu schaf­fen, in dem sich jeder ermu­tigt fühlt, neue Din­ge aus­zu­pro­bie­ren, Ent­schei­dun­gen zu tref­fen und kei­ne Angst hat, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men, wenn etwas nicht funk­tio­niert. Wich­tig dabei ist das Bewusst­sein, dass der Auf­bau und die Auf­recht­erhal­tung eines sol­chen Umfelds auch in selbst­or­ga­ni­sier­ten Unter­neh­men kei­ne ein­ma­li­ge Ange­le­gen­heit ist, son­dern ein fort­lau­fen­der Prozess.

Grenzenlose Freiheit für sinnvolle Ziele

Im Ide­al­fall wer­den Men­schen in selbst­or­ga­ni­sier­ten Unter­neh­men dazu ermu­tigt, sich die Frei­heit zu neh­men, ein Ziel zu ver­fol­gen, das für sie selbst, die Orga­ni­sa­ti­on und die Gesell­schaft sinn­voll ist. Das Prin­zip des Selbst­ma­nage­ments ermög­licht es jedem Ein­zel­nen, eine fast gren­zen­lo­se Frei­heit zu erle­ben. Wobei die­se Frei­heit auch bedeu­tet, wäh­len zu müs­sen, zu prio­ri­sie­ren und sich selbst zu füh­ren. Die Gren­zen­lo­sig­keit erfor­dert oft mehr Rei­fe, gera­de im Gegen­satz zu enge­ren Gren­zen. Frei­heit mit allen Vor- und Nach­tei­len: Das zu tun, was man möch­te, auch wenn man dabei vie­le Pflich­ten erfüllt. Bei­des geht Hand in Hand. Unter einer Vor­aus­set­zung: Da sich heu­te alles schnell bewegt und sich regel­mäs­sig unsi­che­re und neu­ar­ti­ge Situa­tio­nen erge­ben, ist es wich­tig – dafür müs­sen alle ein Bewusst­sein ent­wickeln –, sich selbst und sei­ne Rol­le inner­halb der Orga­ni­sa­ti­on immer wie­der inten­siv zu reflektieren.

Es zeigt sich, dass bei LIVE­sci­en­ces durch die voll­stän­di­ge Trans­pa­renz der Gehäl­ter und Finan­zen wir als Cata­lysts in der Lage sind, eigen­stän­dig Ent­schei­dun­gen zu tref­fen und not­wen­di­ge Ver­än­de­run­gen vor­an­zu­trei­ben. Natür­lich benö­tigt es dafür ein hohes Mass an Ver­ständ­nis für die Rich­tung und Stra­te­gie der Fir­ma. Man muss wis­sen, wie das Geschäft wirk­lich funk­tio­niert. Des­halb ste­hen die Kol­le­gen bei Bedarf immer mit Rat zur Sei­te. Aus­ser­dem tau­schen wir uns in Mee­tings über unse­re Zah­len aus und bekom­men so ein Gefühl dafür, was wir beach­ten müs­sen, um zum Erfolg unse­res Unter­neh­mens beizutragen.

Wenn alle über die gleichen Werte verfügen, greifen die Potenziale der einzelnen ineinander wie Zahnräder. Abbildung: Shutterstock, Nr. 660241021
Wenn alle über die glei­chen Wer­te ver­fü­gen, grei­fen die Poten­zia­le der Ein­zel­nen inein­an­der wie Zahn­rä­der. Abbil­dung: Shut­ter­stock, Nr. 660241021

Living organism erlaubt schnelle Entwicklung

Wie bereits erwähnt, sind bei LIVE­sci­en­ces alle gleich­be­rech­tigt. Somit kön­nen sie Ver­än­de­run­gen eigen­stän­dig vor­an­trei­ben. Wir leben nach der Devi­se des „living orga­nism“. Die­se ste­ti­ge Ver­än­de­rung gehört auch bei unse­ren Rol­len dazu. Wie im zwei­ten Teil der Kolum­ne zum The­ma Gover­nan­ce erwähnt, nut­zen wir ein monat­li­ches Gover­nan­ce-Mee­ting, um an unse­rem System zu arbei­ten. So ent­wickelt sich die­ses immer wei­ter. Hat jemand aus dem Team eine Ten­si­on (=Span­nung) bzw. einen Vor­schlag für eine neue Rol­le oder möch­te eine bereits exi­stie­ren­de Rol­le ver­än­dern, arbei­ten wir in fünf Schrit­ten daran:

  1. Ten­si­on auf­zei­gen: Poten­zi­al, Lücke, Beob­ach­tun­gen, Pro­blem­stel­lung, Hin­ter­grund: Wie ist es dazu gekommen?
  2. Aktu­el­len Zustand beschrei­ben: Pro­zes­se, Gewohn­hei­ten, Ritua­le: Was soll ver­än­dert werden?
  3. Ver­än­de­rung vor­schla­gen: Wie sieht der per­sön­li­che Wunsch aus?
  4. Zukünf­ti­ger Zustand: end­gül­ti­ge Doku­men­ta­ti­on der Rol­le inkl. Änderungen.
  5. Kol­le­gia­le Rol­len­wahl: Defi­ni­ti­on und Beset­zung der Rolle.

Im Gover­nan­ce-Mee­ting wird die neue Rol­le dann von der jewei­li­gen Per­son, die den Vor­schlag gemacht hat, vor­ge­stellt. Es wird im Team über die Ein­füh­rung des Vor­schlags entschieden.

Bei LIVE­sci­en­ces wer­den alle ermu­tigt, inner­halb des Systems, aber auch an die­sem selbst zu arbei­ten, indem wir die Orga­ni­sa­ti­on, ihre Prak­ti­ken, Pro­zes­se und Rol­len auf der Grund­la­ge unse­rer Span­nun­gen wei­ter­ent­wickeln. Fast eine Sicher­heits­mass­nah­me, um kei­ne büro­kra­ti­schen Struk­tu­ren auf­zu­bau­en, die nie­man­dem die­nen, oder neue Macht­struk­tu­ren zu schaf­fen, die sich nur schwer wie­der abbau­en las­sen, wenn sie sich ein­mal mani­fe­stiert haben.

Abbildung: LIVEsciences
Abbil­dung: LIVEsciences

Timm Urschin­ger,

Mit­grün­der und CEO,

LIVE­sci­en­ces.

livesciences.com