New Work – Beyond the hype #2/7

In sei­ner Kolum­ne erläu­tert Timm Urschin­ger, CEO der Schwei­zer LIVE­sci­en­ces AG, neue und inno­va­ti­ve Orga­ni­sa­ti­ons­mo­del­le für Unter­neh­men. Im zwei­ten Teil geht es um den Begriff Gover­nan­ce und des­sen Bedeu­tung für die Struk­tur von Organisationen.

Flache Hierarchien fördern die Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen. Abbildung: Shutter Stock Nr. 1903163959
Fla­che Hier­ar­chien för­dern die Iden­ti­fi­ka­ti­on der Mit­ar­bei­ten­den mit dem Unter­neh­men. Abbil­dung: Shut­ter Stock Nr. 1903163959

Gover­nan­ce – ein gro­ßer Begriff, der all­zu gern und viel­fäl­tig ver­wen­det wird. Wohl auch des­halb, weil sich Orga­ni­sa­tio­nen damit schmücken möch­ten. Dabei ist Gover­nan­ce im wirt­schaft­li­chen Zusam­men­hang nichts ande­res als Unter­neh­mens­füh­rung, also ein Steue­rungs- und Rege­lungs­sy­stem, das Struk­tu­ren schafft, um Zie­le leich­ter zu errei­chen. Cor­po­ra­te Gover­nan­ce bezeich­net laut Gab­ler-Wirt­schafts­le­xi­kon „den recht­li­chen und fak­ti­schen Ord­nungs­rah­men für die Lei­tung und Über­wa­chung eines Unter­neh­mens“. Das ist wich­tig, weil „unvoll­stän­di­ge Ver­trä­ge und unter­schied­li­che Inter­es­sens­la­gen (...) den Stake­hol­dern prin­zi­pi­ell Gele­gen­hei­ten wie auch Moti­ve zu oppor­tu­ni­sti­schem Ver­hal­ten“ bieten.

Governance – was wichtig ist und warum

Gene­rell muss man sich bei Gover­nan­ce immer die Fra­ge stel­len: Müs­sen wir das wirk­lich fir­men­weit regeln? Die Balan­ce zwi­schen Auto­no­mie und Ali­gnment, sprich einer gemein­sa­men Aus­rich­tung, ist für jede Orga­ni­sa­ti­on wich­tig. Anson­sten herrscht Cha­os und Ziel­lo­sig­keit. Wenn die gesam­te Orga­ni­sa­ti­on nicht in eine ähn­li­che Rich­tung geht, wird es schnell inef­fek­tiv. Das Pro­blem ist, dass vie­le Unter­neh­men das Kor­sett so eng zie­hen, dass die defi­nier­te Rich­tung kei­nen Spiel­raum für Inno­va­ti­on, Ideen oder Freu­de zur Gestal­tung zulässt. Aus die­sem Grund ist die Balan­ce sehr wich­tig: Sie soll­te gedank­lich lan­ge vor der Gover­nan­ce eine Rol­le spielen.

Apro­pos Rol­len: Im ersten Teil die­ser Kolum­ne haben wir uns mit dem rol­len­ba­sier­ten, im Gegen­satz zum job­ba­sier­ten Arbei­ten beschäf­tigt. Es hat sich gezeigt, dass sowohl klas­si­sche Rol­len als auch kom­plett neu anmu­ten­de Rol­len wich­tig im New Work sind. Das hängt auch damit zusam­men, dass im Jahr 2022 vie­le Prak­ti­ker aus dem Per­so­nal­we­sen, der Orga­ni­sa­ti­ons­ent­wick­lung und Unter­neh­mens­be­ra­tung davon aus­ge­hen, dass Orga­ni­sa­tio­nen mit fla­che­ren Struk­tu­ren und mehr hori­zon­ta­len Bewe­gun­gen lei­stungs­fä­hi­ger sind als ihre büro­kra­ti­schen und hier­ar­chi­schen Gegenstücke.

Das Festhalten an starren Organisationsstrukturen kann zu Brüchen in Unternehmen führen. Abbildung: Shutter Stock Nr. 616842821
Das Fest­hal­ten an star­ren Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tu­ren kann zu Brü­chen in Unter­neh­men füh­ren. Abbil­dung: Shut­ter Stock Nr. 616842821

Das Spektrum der Hierarchien

Wir wis­sen, dass die Ver­schlan­kung von Orga­ni­sa­tio­nen zahl­rei­che Vor­tei­le mit sich bringt: bes­se­re Kom­mu­ni­ka­ti­on, schnel­le­re Ent­schei­dungs­fin­dung, mehr Eigen­ver­ant­wor­tung und Inno­va­ti­on sowie höhe­re Pro­duk­ti­vi­tät. Es gibt natür­lich auch Nach­tei­le, wenn sie nur halb­her­zig umge­setzt wird. Wich­tig zu wis­sen ist, dass es eine Men­ge Grau­zo­nen zwi­schen dem Schwarz und dem Weiß der ver­ti­ka­len und hori­zon­ta­len Struk­tu­ren gibt.

Oft ent­schei­den sich Unter­neh­men bei­spiels­wei­se dafür, die Merk­ma­le von ver­ti­ka­len und hori­zon­ta­len Orga­ni­sa­tio­nen zu mischen, anstatt sich ganz auf eine der bei­den zu kon­zen­trie­ren. Das hat gute Grün­de: Manch­mal bevor­zu­gen Mit­ar­bei­ten­de ein gewis­ses Maß an Starr­heit und Hier­ar­chie. Wenn die Kar­rie­re im Vor­der­grund steht, fällt es man­chen Men­schen schwer, sich seit­wärts zu bewe­gen, anstatt die Unter­neh­mens­lei­ter wie geplant zu erklim­men. In die­sem Fall gilt es, genau­er zu beleuch­ten, wie Kar­rie­re­be­dürf­nis­se mit einer moder­nen Gover­nan­ce in Ein­klang gebracht wer­den können.

Für eine moder­ne Gover­nan­ce in bestehen­den, vor allem in grö­ße­ren Orga­ni­sa­tio­nen ist in vie­len Fäl­len ein hybri­des System am sinn­voll­sten. Unter­neh­men soll­ten die Hier­ar­chien erst ein­mal lang­sam abfla­chen. Um den Mit­ar­bei­ten­den ver­trau­te Sicher­heit zu ver­mit­teln, wer­den bei­spiels­wei­se wei­ter­hin Stel­len­be­zeich­nun­gen zur Abgren­zung ver­wen­det, wäh­rend sie im Tages­ge­schäft igno­riert wer­den. Die Teams arbei­ten statt­des­sen rol­len­ba­siert und die Inter­ak­tio­nen zwi­schen den Mit­ar­bei­ten­den bestim­men, wer situa­tiv zu Men­to­ren und Füh­rungs­kräf­ten wird.

Die Unterschiede von jobbasiertem und rollenbasiertem Arbeiten. Abbildung: LIVEsciences
Die Unter­schie­de von job­ba­sier­tem und rol­len­ba­sier­tem Arbei­ten. Abbil­dung: LIVEsciences

Die Governance bei LIVEsciences

Natür­lich gibt es im klei­ne­ren Set­up die Mög­lich­keit, kom­plett rol­len­ba­siert und selbst­or­ga­ni­siert zu agie­ren. Bei LIVE­sci­en­ces ist es vor allem wich­tig, dass Gover­nan­ce immer die Rea­li­tät abbil­det und nicht gene­ri­sche Job­be­schrei­bun­gen. Das trägt zur Klar­heit bei, was wer wirk­lich tut – statt nur irgend­et­was ohne Aus­sa­ge­kraft und aktu­el­len Bezug auf dem Papier zu haben. Klas­si­sche Orga­ni­gram­me ber­gen vor allem ein Pro­blem: Es wer­den Leu­te auf­grund ihres Sta­tus oder ihrer Posi­ti­on invol­viert, die nicht invol­viert wer­den soll­ten. Oft­mals eben auch, weil nicht klar ist, wer wofür zustän­dig ist.

Bei LIVE­sci­en­ces arbei­ten wir dar­an, so viel wie nötig, aber so wenig wie mög­lich durch Regeln fest­zu­zur­ren. Unse­re Arbeit und Gover­nan­ce ist größ­ten­teils prin­zi­pi­en­ba­siert. Der Vor­teil: Prin­zi­pi­en sor­gen dafür, dass wir unse­ren Wer­ten treu sind, gewis­se Effek­te för­dern und damit eine Iden­ti­tät und Kul­tur schaf­fen sowie ein ein­heit­li­ches Bild gegen­über unse­ren Kun­den und Lie­fe­ran­ten erzie­len. Gleich­zei­tig bedeu­ten Prin­zi­pi­en, dass das WAS offen­bleibt und damit das Team oder ein­zel­ne Per­so­nen alle Frei­hei­ten haben. Für unse­re Pro­zes­se gilt, dass sie immer den Wer­ten der LIVEli­ne ent­spre­chen müs­sen – und dar­auf­hin geprüft werden.

LIVEli­ne = Leitbild
„Die LIVEli­ne fasst zusam­men, wer wir sind und was wir bei der Zusam­men­ar­beit für rich­tig hal­ten. Daher nut­zen wir die­se als Platt­form, um her­aus­zu­fin­den, wer bei LIVE­sci­en­ces AG arbei­ten möch­te, oder wir dis­ku­tie­ren über Situa­tio­nen in unse­rem täg­li­chen Arbeits­le­ben. Wir laden hier jeden ein, her­aus­zu­fin­den, war­um es die­ses Unter­neh­men gibt, was uns wirk­lich wich­tig ist und wie wir mit­ein­an­der umgehen.“
LIVEsciences als Organismus aktualisiert sich jeden Monat. Abbildung: Shutter Stock Nr. 2017044854
LIVE­sci­en­ces als Orga­nis­mus aktua­li­siert sich jeden Monat. Abbil­dung: Shut­ter Stock Nr. 2017044854

Governance in lebenden Organisationen

In klas­si­schen Orga­ni­sa­tio­nen wird alle zwei bis vier Jah­re restruk­tu­riert. Ein leben­der Orga­nis­mus soll­te sich aber viel schnel­ler anpas­sen. Bei LIVE­sci­en­ces heißt das nach Holakratie/Soziokratie inzwi­schen span­nungs­ba­sier­tes Arbei­ten. Wir ent­schei­den bei Span­nun­gen (Ten­si­ons) immer: Betrifft das die Arbeit IM oder AM System?

Wenn es IM System ist, gibt es den Ten­si­on-Pro­zess wie in der LIVEli­ne mit ver­schie­de­nen Orten, um die Din­ge anzu­spre­chen: im Team­mee­ting, 1:1 oder in einem spe­zi­fi­schen „Ten­si­on-Mee­ting“, wel­ches monat­lich statt­fin­det, um die grö­ße­ren Span­nun­gen in der Grup­pe abzu­ho­len. Wenn es etwas AM System betrifft, behan­deln wir die Span­nun­gen und Vor­schlä­ge im Gover­nan­ce-Mee­ting. Das heißt nicht, dass die Rol­len jeden Monat mas­siv umge­stal­tet wer­den oder sich hin­sicht­lich Gover­nan­ce alles ändert. Es sind oft klei­ne­re Ände­run­gen, Anpas­sun­gen von Ver­ant­wort­lich­kei­ten etc. Das Gover­nan­ce-Mee­ting fin­det monat­lich statt, das heißt LIVE­sci­en­ces als Orga­nis­mus aktua­li­siert sich jeden Monat. Genau die­se Geschwin­dig­keit macht ein erfolg­rei­ches New-Work-Set­up aus.

Abbildung: LIVEsciences
Abbil­dung: LIVEsciences

Timm Urschin­ger,

Mit­grün­der und CEO,

LIVE­sci­en­ces.

livesciences.com