New Work – Beyond the hype #5/7

In sei­ner Kolum­ne erläu­tert Timm Urschin­ger, CEO der Schwei­zer LIVE­sci­en­ces AG, neue und inno­va­ti­ve Orga­ni­sa­ti­ons­mo­del­le für Unter­neh­men. Der fünf­te Teil zeigt, wie ein kon­struk­ti­ver Umgang mit Span­nun­gen und Kon­flik­ten gestal­tet wer­den kann.

Tension-Meetings bieten eine Plattform für das offene Adressieren von Konflikten. Abbildung: Unsplash
Ten­si­on-Mee­tings bie­ten eine Platt­form für das offe­ne Adres­sie­ren von Kon­flik­ten. Abbil­dung: Unsplash

Die kon­struk­ti­ve Kon­flikt­lö­sung ist einer der Kern­er­folgs­fak­to­ren für Unter­neh­men. Ohne sich mit vor­han­de­nen Span­nun­gen – so gering die­se im ersten Moment auch erschei­nen mögen – aus­ein­an­der­zu­set­zen, kein Deep Dive, kein Teal und kein New Work. Weil all das mit Ver­trau­en ein­her­geht und die­ses Ver­trau­en nur auf Basis eines offe­nen und ehr­li­chen Umgangs mit Span­nun­gen und Kon­flik­ten ent­ste­hen und wach­sen kann. Patrick Len­cio­ni hat das in sei­nem Modell und gleich­na­mi­gen Buch „Die fünf Dys­funk­tio­nen eines Teams“ pla­ka­tiv dar­ge­stellt. Las­sen Sie uns also gemein­sam ein­tau­chen in die Welt der Ten­si­ons, uns anschau­en, wie Kon­flik­te zur Har­mo­nie füh­ren und war­um das alles so wich­tig ist, damit das System lebt.

Weiterentwicklung braucht Spannungen 

So wie eine Teal-Orga­ni­sa­ti­on Ver­trau­en in sei­ne Teal-Grund­sät­ze und Teal-Zie­le hat, hat natür­lich auch jeder Mensch in die­ser Orga­ni­sa­ti­on Ver­trau­en in das eige­ne Poten­zi­al und in das Team. Genau das unter­schei­det Teal von tra­di­tio­nel­len Syste­men: hal­ten, was ver­spro­chen wur­de, und ver­su­chen, den hohen Ansprü­chen gerecht zu wer­den. Eine Her­aus­for­de­rung, vor allem in Zei­ten mit Span­nun­gen und Kon­flik­ten. Wie in jedem System erzeugt dies ver­ständ­li­cher­wei­se Äng­ste und Befürchtungen.

Die Ein­stel­lung „wir sind alle nett zuein­an­der“ ist zwar löb­lich, hilft dabei aber nicht wirk­lich wei­ter. Die Orga­ni­sa­ti­on als leben­di­gen Orga­nis­mus zu ver­ste­hen und wei­ter­zu­ent­wickeln, spie­gelt sich in einer span­nungs­ba­sier­ten Zusam­men­ar­beit wider. Einer­seits durch die Arbeit am System durch regel­mäs­si­ge Gover­nan­ce-Mee­tings (wie ich sie im zwei­ten Teil der Kolum­ne beschrie­ben habe) und ande­rer­seits durch die Arbeit im System durch Ten­si­on-Mee­tings. In die­sem Bei­trag wer­den wir die Bedeu­tung und Pra­xis von Letz­te­ren genau­er betrachten.

Spannungen anzusprechen ist eine Pflicht 

Span­nun­gen ent­ste­hen durch per­sön­li­che Gefüh­le auf­grund sub­jek­ti­ver Wahr­neh­mun­gen. Span­nun­gen sind nichts ande­res als eine Dis­kre­panz zwi­schen der Rea­li­tät und unse­ren poten­zi­el­len Erwar­tun­gen. Erst eine vor­ge­täusch­te Har­mo­nie, wie sie oft in Orga­ni­sa­tio­nen oder ein­zel­nen Teams zu fin­den ist, lässt die­se Span­nun­gen zu ernst­haf­ten Kon­flik­ten heranwachsen.

Wir bei LIVE­sci­en­ces glau­ben, dass das offe­ne Aus­drücken und Dis­ku­tie­ren von Span­nun­gen Schlüs­sel­fak­to­ren für ein siche­res Umfeld sind. Genau das ermög­licht es, uns mit unse­ren Gefüh­len zu ver­bin­den und so einem der drei Haupt­merk­ma­le einer Teal-Orga­ni­sa­ti­on gerecht zu wer­den: der Ganz­heit­lich­keit. Statt Tak­tie­ren leben wir Offen­heit – auch bei Pro­ble­men. Statt dem Zurück- und Geheim­hal­ten von Infor­ma­tio­nen ver­trau­en wir dar­auf, dass eben jene Offen­heit dafür sorgt, sich gemein­schaft­lich wei­ter­zu­ent­wickeln – auch was das The­ma Kon­flik­te anbe­langt. Dabei sind uns eini­ge Grund­an­nah­men wich­tig, über die Orga­ni­sa­tio­nen nach­den­ken soll­ten, bevor sie die­sen Weg grund­sätz­lich ein­schla­gen und wäh­rend Kon­flik­ten tat­säch­lich ange­spro­chen werden:

  • Wir kon­zen­trie­ren uns dar­auf, uns selbst zu ver­än­dern und laden dann ande­re ein, sich uns anzu­schlies­sen. Den­ken Sie immer zuerst an Ihre eige­ne Verantwortung.
  • Wir über­neh­men Ver­ant­wor­tung für unse­re ver­ba­le und non­ver­ba­le Kom­mu­ni­ka­ti­on und für das, was wir tun oder nicht tun (ins­be­son­de­re für Verpflichtungen).
  • Wir ver­su­chen zuerst zu ver­ste­hen, bevor wir zustim­men oder widersprechen.
  • Bes­ser als zu urtei­len ist es, ande­ren zu hel­fen, es in Zukunft bes­ser zu machen.

Jeder bei uns ist ein Sen­sor und dafür ver­ant­wort­lich, Kon­flik­te und per­sön­li­che Span­nun­gen aktiv anzu­spre­chen. Kurz­fri­stig und auf lan­ge Sicht lohnt es sich, das zu tun, auch wenn man glaubt, dass ande­re es nicht gern hören. Unser Ziel dabei ist es, Kon­flik­te mög­lichst schnell auf­zu­decken, auf­grund von drei Faktoren:

  • Kon­flik­te zu ver­mei­den ist nicht mög­lich, des­halb wol­len wir sie lösen.
  • Klei­ne unge­lö­ste Pro­ble­me haben im Lau­fe der Zeit oft eine gro­ße demo­ra­li­sie­ren­de Wirkung.
  • Kon­flik­te sind eine Ein­la­dung zum Ler­nen und Wach­sen als Indi­vi­du­um und/oder als Organisation.

Unser monat­li­ches Ten­si­on-Mee­ting hat sich seit unse­rer Grün­dung als Platt­form für das offe­ne Adres­sie­ren von Kon­flik­ten eta­bliert. Wir tun es aus der Über­zeu­gung her­aus, dass unaus­ge­spro­che­ne Kon­flik­te unse­ren Psy­cho­lo­gi­cal Safe Space beein­flus­sen, es ein ent­schei­den­der Fak­tor ist, unse­re Who­len­ess ins Team zu brin­gen und Span­nun­gen ein Sen­sor sein kön­nen für nöti­ge Anpas­sun­gen in einer sich schnell ver­än­dern­den Umwelt. Gera­de um mit den Her­aus­for­de­run­gen in einem selbst­or­ga­ni­sier­ten Set­ting zu bestehen, braucht es ein akti­ves Kon­flikt­ma­nage­ment. Aller­dings sind wir davon auch ganz unab­hän­gig von der Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tur überzeugt.

Theorie gewaltfreier Kommunikation nach Rosenberg. Abbildung: LIVEsciences
Theo­rie gewalt­frei­er Kom­mu­ni­ka­ti­on nach Rosen­berg. Abbil­dung: LIVEsciences

Konfliktmanagement in der Umsetzung bei LIVEsciences

In der Umset­zung sind wir sehr prag­ma­tisch: Der­je­ni­ge, der eine Ten­si­on äus­sern möch­te, trägt die­se fort­lau­fend in eine ein­fa­che, für jeden ein­seh­ba­re Excel-Tabel­le ein. Die Ten­si­ons kön­nen zwi­schen­mensch­lich und/oder syste­misch sein. Ein­mal im Monat tref­fen wir uns als Team für eine Stun­de im Ten­si­on-Mee­ting. Hier wird jede Span­nung ein­zeln von dem­je­ni­gen, der sie in die Liste ein­ge­tra­gen hat, geäus­sert und erläu­tert. Nach der Bespre­chung jeder Span­nung gemäß der Theo­rie gewalt­frei­er Kom­mu­ni­ka­ti­on nach Rosen­berg dür­fen Ver­ständ­nis­fra­gen gestellt wer­den. Wenn alle Fra­gen geklärt sind, wer­den näch­ste Schrit­te zur Annä­he­rung an die Kon­flikt­lö­sung bespro­chen. Eine Prio­ri­sie­rung nach Farb­code (open, clo­sed, in pro­gress) zeigt den aktu­el­len Stand in der Excel-Tabel­le an.

Grund­sätz­lich gibt es drei Mög­lich­kei­ten, mit einer Ten­si­on umzu­ge­hen: sie in einem 1:1-Gespräch zu lösen, sie bei Team­re­le­vanz im Ten­si­on-Mee­ting anspre­chen, oder, falls der Kon­flikt nicht gelöst wer­den konn­te, einen inter­nen oder exter­nen Media­tor als Schlich­tungs­stel­le ein­zu­schal­ten. Auch das ist übri­gens eine Chan­ce für Wachs­tum. Des­halb möch­te ich abschlie­ßend noch kurz den Pro­zess für den Fall dar­stel­len, dass ein Media­tor hin­zu­ge­zo­gen wer­den muss:

  • Wenn die betrof­fe­nen Kol­le­gen kei­ne für alle akzep­ta­ble Lösung fin­den kön­nen, ernen­nen sie einen Kol­le­gen ihres Ver­trau­ens zum Media­tor oder rufen einen exter­nen Media­tor hin­zu. Der Media­tor gibt kei­ne Ent­schei­dung vor. Er unter­stützt die Betei­lig­ten viel­mehr dabei, eine eige­ne Lösung zu finden.
  • Wenn die Media­ti­on schei­tert, wird ein Gre­mi­um aus the­men­re­le­van­ten Kol­le­gen ein­be­ru­fen. Auch hier gibt das Gre­mi­um kei­ne Lösung vor.
  • Der letz­te Schritt lau­tet „agree to dis­agree“. Das bedeu­tet, getrenn­te Wege zu gehen, gege­be­nen­falls durch eine Kün­di­gung. Das ist natür­lich nach Prü­fung aller ande­ren Mög­lich­kei­ten auch eine wei­te­re (end­gül­ti­ge) Option.

In einer ler­nen­den Orga­ni­sa­ti­on gibt es viel­leicht – oder sogar ganz gewiss – vie­le wei­te­re Optio­nen (die wir heu­te noch gar nicht ken­nen), um eine Span­nung oder einen Kon­flikt erfolg­reich zu lösen. Dabei spielt es bei­na­he kei­ne Rol­le, wie der Umgang mit Span­nun­gen und Kon­flik­ten gestal­tet wird. Das Wich­tig­ste ist weg von Har­mo­nie hin zu einem kon­struk­ti­ven Dis­kurs zu kommen.

Abbildung: LIVEsciences
Abbil­dung: LIVEsciences

Timm Urschin­ger,

Mit­grün­der und CEO,

LIVE­sci­en­ces.

livesciences.com